Die Aktivistin Nuriye Gülmen hat von Folter berichtet, die ihr auf einer Polizeistation in Istanbul widerfahren sein soll. Laut Gülmen und ihren Freunden wurden sie auf einer Polizeistation in Istanbul vier Tage lang gefoltert.
von Cevheri Güven
BOLD Spezial — In den vergangenen drei Jahren wurden in der Türkei unter der Führung von Präsident Erdoğan mehr als 150 Tausend Menschen aus dem Staatsdienst entlassen.
Am 23. November war ursprünglich ein Solidaritäts-Konzert geplant. Mit dieser Veranstaltung wollte man sich mit Menschen solidarisch zeigen, die durch Dekrete Erdoğans ihre Tätigkeiten im Staatsdienst verloren. Das Event wurde im letzten Augenblick durch einen Eingriff untersagt.
Dabei wurden 18 renommierte Akademiker und Aktivisten, die sich an der Veranstaltung beteiligen wollten, festgenommen. Darunter auch Nuriye Gülmen und Acun Karadağ. Die beiden mussten zunächst für eine Weile in Untersuchungshaft. Was ihre Anwälte über ihre Haftzeit schilderten, wurde nun durch Nuriye Gülmen bekräftigt. Dazu gehören eine schlechte Behandlung, die Vorenthaltung von Medikamenten sowie Folter. Gülmen hat mit BOLD über die Tage in U-Haft und über den aktuellen Stand ihrer Protestaktion gesprochen. Die Aktion hatte Gülmen mit einigen anderen Aktivisten ins Leben gerufen.
4 Tage U-Haft und Folter
“Als man uns festgenommen hat, wurden uns die Handschellen von hinten angelegt. Sie hätten unsere Arme beinahe gebrochen. Man hat uns es nicht erlaubt, auf die Toilette zu gehen. Sie haben auf unsere Fragen nicht geantwortet. Der Ort, an dem wir festgehalten wurden, war sehr dreckig.
Am letzten Tag sagten sie, dass sie Fingerabdrücke nehmen würden. Eigentlich war das ein Vorwand für deren Folter, denn die Polizei hatte unsere Fingerabdrücke zu dem Zeitpunkt bereits.
Folter-Szenario war vorbereitet
Weibliche Polizeibeamte haben uns aus der Zelle geholt und in einen Raum gebracht, wo 15-20 männliche Polizisten warteten. Sie haben uns auf den Boden gelegt, unsere Arme nach hinten gedreht. Sie haben uns permanent beleidigt und mehrfach auf meinen Kopf getreten. Ich versuchte, ´die menschliche Würde wird eure Folter besiegen´ zu skandieren. Um meine Rufe zu verhindern, haben sie meinen Brustkorb zerdrückt. Sie haben gewisse Techniken, aber diese waren mir bislang nicht bekannt. Sie drücken auf deinen Brustkorb und sorgen dafür, dass du keine Luft mehr kriegst. Infolgedessen kannst du keine Slogans mehr brüllen. Wegen dem andauernden Druck, der wenigen Luft und den permanenten Schlägen habe ich das Bewusstsein verloren. Sie haben auch mit den Füßen gedrückt. Während wir mit dem Gesicht auf den Boden blickend lagen, drückten sie unsere Knöchel auf den Boden. Man wurde so gefoltert, dass kein Bruch zustande kommt, keine Spuren zu sehen sind. Als sie auf mich eingetreten haben, machten sie sich lustig und sagten, das sei ihr Geschenk zum Lehrertag.”
“Uns wurden Medikamente verweigert”
Laut Gülmen gehörte es zu den Foltermethoden, kranken Inhaftierten ihre Medikamente vorzuenthalten. “Keiner hat seine Medikamente bekommen. Auch drei ältere Männer zwischen 60 – 70 Jahren waren dabei und auch ihnen haben sie die Medikamente nicht verabreicht. Acun Karadağ hat einen Herzschrittmacher und auch ihm hat man keine Medikamente gegeben,” so Gülmen.
Durch unseren Widerstand ist es normal geworden zu sagen: “Ich bin ein per Dekret Entlassener
Nuriye Gülmen sagt, dass alle Beteiligten auf das Ausmaß ihrer Proteste stolz sind. Am 9. November ging sie noch alleine auf die Straßen, um für das Schicksal der per Dekret entlassenen Beamten zu protestieren. “Die per Dekret Entlassenen trauten sich nicht, sich über diesen Zustand zu beschweren. Die Arbeit auf diese Weise zu verlieren ist ein ernsthafter Grund zur Isolation. Diese Furcht vor den Ursachen der Dekrete haben wir mit unserem Protest gebrochen. Wenn man heute mit breiter Brust sagen kann, dass man vom Dekret betroffen ist, ist es der Verdienst dieser Proteste. Das erfüllt uns mit stolz.”, so Nuriye Gülmen.
Nuriye Gülmen wog in den letzten Tagen ihres Hungerstreiks nur noch 34 Kilo.
WER IST NURIYE GÜLMEN?
Die Wissenschaftlerin und Aktivistin Nuriye Gülmen wurde nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 während des Ausnahmezustand mit dem Dekret 679 aus ihrem Beruf gerissen. Sie arbeitete an einer Universität und musste gehen, weil ihr eine Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung vorgeworfen wurde.
Am 9. November 2016 begann sie vor dem Menschenrechtsmahnmal auf der Yüksel Straße in Ankara eine Demo auf eigene Faust, mit dem Slogan: “Ich will meinen Job zurück!” Nachdem die Proteste von Gülmen zunächst landesweit und anschließend internationale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen begannen, wurden nacheinander Verbote und Festnahmen durchgeführt. Deshalb haben Nuriye Gülmen und ihr Kollege Semih Özakça einen Hungerstreik ausgerufen. Auf wachsenden Druck wurden beide Demonstranten festgenommen und trotzdem setzten sie den Hungerstreik fort. Insgesamt 324 Tage sind diese Hungerstreiks weitergegangen. Nachdem immer mehr gesundheitliche Schäden entstanden sind, wurden Nuriye Gülmen und Semih Özakça nach Monaten wieder freigelassen. Als die Kommission des Ausnahmezustands ihre Anträge abgelehnt haben, hörten Gülmen und Özakça mit dem Hungerstreik auf. Zuletzt wog sie nur noch 34 Kilo.
Die deutsche Version wurde leicht redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.