Am 27. November hat die Türkei mit Libyen zwei wichtige Verträge unterzeichnet. Während der eine Vertrag die Zusammenarbeit vor der libyschen Küste regelt, geht es im zweiten Vertrag um militärische Zusammenarbeit.
Eine Analyse von Fatih Yurtsever
Während der Vertrag über die Zusammenarbeit vor der libyschen Küste der türkischen Öffentlichkeit umfangreich bekannt ist, ist man sich über den Inhalt des zweiten kaum bewusst. Um zu Begreifen, welche Risiken sich damit für die Türkei verbergen, sollte man sich die Ära nach dem ehemaligen Machthaber und die Außenpolitik von Erdoğan vor Augen führen, in dessen Zentrum die Muslimbruderschaft steht.
Muslimbrüder dominieren Regierung in Tripolis
Nach dem Sturz des ehemaligen libyischen Machthabers Gaddafi hatte die Partei der Muslimbrüder, die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, bei den Wahlen nur 30 der 200 Sitze im Abgeordnetenhaus für sich verzeichnet. Islamistische Gruppen waren von den Wahlergebnissen nicht glücklich. Das Verfassungsgericht hatte im Anschluss die Wahlen wegen geringer Beteiligung für ungültig erklärt. Libyen hatte damit seinen ersten politischen Putsch. So ist es zu zwei Parlamenten gekommen. Die Liberalen unterstützen General Haftar und das Abgeordnetenhaus in Tobruk, während die Islamisten die Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis unterstützen. Zwischen bewaffneten Gruppen hatten zuletzt die Kämpfe zugenommen, so dass die UN beide Seiten zu einem Vertrag in Marokko überredete. Beide Parteien einigten sich zu der Gründung einer Einheitsregierung.
Vertrag von Suheyrat praktisch ungültig?
Kaum wurde der Vertrag und der Vertrag in dem marokkanischen Ort Suheyrat gefeiert, erklärte der Vorsitzende der Regierung der Nationalen Einheit in Tripolis, Nuri Busahmein, dass der Vertrag ungültig sei. Der Präsident der Einheitsregierung in Tripolis, Akil Salih, sagte, er habe nicht im Namen der Regierung in Tripolis unterschrieben, sondern in seinem eigenen. Der Sprecher der Regierung aus Tripolis, Omar Hamidan. ging sogar noch weiter und sagte, dass das Abgeordnetenhaus niemandem Vollmacht zur Unterzeichnung eines solchen Vertrages gegeben hat.
In der Resolution 2258 des UN-Sicherheitsrates ist auch nicht erkennbar, dass der Vertrag von allen Seiten gänzlich angenommen wurde und angewendet wird. Die Islamisten befürchten, dass mit dem Vertrag von Suheyrat General Haftar legitimiert wird. Gleichzeitig erkennt die Regierung in Tobruk die Regierung von Fayez el-Serrac nicht an, weil der Vertrag nicht in Kraft sei. Der UN-Gesandte Ghassan Selam hingegen verhandelt mit beiden Seiten um eine Lösung zu finden.
Regierung in Tobruk legitime Regierung von Libyen?
Während die UN eine Einheitsregierung unterstützt, erkennt sie das Abgeordnetenhaus in Tobruk als „Legitime Vertetung von Libyen“ an. Der Vertrag von Suheyrat überträgt die Einhaltung der internationalen Verträge auf die Einheitsregierung. Die Verträge müssen aber vom Abgeordnetenhaus abgesegnet werden. Deswegen stellt sich die Frage, ob die Verträge mit der Türkei auch rechtsgültig sind.
Regierung in Tobruk erklärt Verträge mit Türkei als ungültig
Der Sprecher des Abgeordnetenhauses in Tobruk, Akile Salih, hatte deswegen in einem Brief an den UN-Generalsekretär und dem Generalsekretär der Arabischen Liga erklärt, dass die Verträge mit der Türkei ungültig seien. Zudem müsse die Einheitsregierung die einzig legitime Regierung des Landes gelten. Was versucht die Türkei, in dem Sie Verträge mit einer Regierung schließt, die von allen Seiten anerkannt wird?
Arabischer Frühling: Erdoğan verkalkuliert sich
Zu Beginn des arabischen Frühling war Erdoğan davon ausgegangen, dass die Regierung in den arabischen Ländern stürzen und stattdessen die Muslimbrüder an die Macht kommen werden. Alleine deswegen hatte er sich in die inneren Angelegenheiten Syriens eingemischt. Obwohl der syrische Machthaber zu Wahlen überredet werden konnte, wurde die Verhandlung zunichte gemacht, weil auch einige Muslimbrüder in der Regierung teilhaben sollten. Eigentlich wollte die türkische Regierung regional Mitgestalten. Deswegen wurde in die inneren Angelegenheiten im Nachbarland eingemischt und man versuchte Assad zu stürzen in dem man Oppositionsgruppen unterstützte. Das Resultat sehen wir heute.
Erdoğan sieht Libyen als sein letzte Bastion. Damit Libyen weiterhin der Linie der Muslimbrüder folgt, trotz des UN-Waffenembargos, wird die Regierung in Tripolis mit Drohnen, gepanzerten Fahrzeugen und Munition aus der Türkei unterstützt. Derzeit wird in Libyen ein Stellvertreterkrieg geführt, an der die Türkei beteiligt ist.
Haftar warnt vor Abschuss türkischer Kampflugzeuge und Marineschiffe
Die Beziehungen zwischen der Türkei und Genral Haftar sind sehr angespannt. In einer Mitteilung vom 28. Juni 2019 hatte der Sprecher der libyischen Nationalarmee, Ahmad Al-Mismari die türkische Regierung gewarnt. Türkische Marineschiffe und Kampfflugzeuge würden abgeschossen, sollten sie sich in libyischen Gewässern oder Luftraum befinden. Nach dieser Warnung wurden 6 türkische Staatsbürger festgenommen. Sie kamen nach kurzer Zeit frei, nach dem sich Stammesführer vermittelt hatten.
Seit längerem wird die vom den Muslimbrüdern dominierte nationale Einheitsregierung von Ankara mit Waffen beliefert. Erdoğan hatte das selbst am 20 Juni 2010 gesagt. Der türkische Präsident denkt mit seiner Unterstützung für die Islamisten ein Gleichgewicht geschafft zu haben. Doch auch Russland mischt in dem Land mit und unterstützt General Haftar. Das kann die Machtverhältnisse in dem Kriesenland durcheinanderbringen. Die Position des Präsidenten der Nationalen Einheitsregierung, Fayez el-Serrac, hängt von der Unterstützung der Türkei ab.
Erdoğan bestimmt Tagesordnung in der Türkei über Außenpolitik
Damit Erdoğan weiterhin diese Unterstützung leistet, hat die Türkei ein Abkommen über eine Zusammenarbeit in libyschen Hoheitsgewässern geschlossen, dass insbesondere bei der türkischen Bevölkerung gut ankommt. Darüber hinaus wurde auch ein Militärabkommen zwischen beiden Seiten geschlossen. Dort ist geregelt, dass das türkische Militär die Gewässer, den Luftraum und den Boden von Libyen nutzen darf. Die tagelange Propaganda in der Türkei in libyischen Gewässern eigene Wirtschaftsinteressen zu verfolgen wurde von der türkischen Öffentlichkeit geschluckt. Es ist kaum mehr Möglich, dass irgendjemand sich nach diesen Entwicklungen gegen eine Entsendung türkischer Soldat nach Libyen stellen wird.
Was die Türkei in Syrien erreicht hat, liegt auf den Hand. Das selbe Abenteuer steht der Türkei jetzt auch in Libyen bevor. Erdoğan weiß genau, er kann die Themen der Außenpolitik innenpolitisch gut ausnutzen. Die Bevölkerung hat dann ihre eigentlichen Probleme nicht mehr im Blick: Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Probleme. Und solange der Kreislauf so weitergeht, wird Erdoğan die Tagesordnung über die Außenpolitik bestimmen.
Die deutsche Version wurde leicht redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.