Melek Çetinkayas 19-jähriger Sohn ist wegen Beteiligung am Putschversuch inhaftiert. Dabei war er lediglich ein Militärschüler, der den Anweisungen seiner Vorgesetzten gefolgt ist. Mutter Melek Çetinkaya stellt sich nun gegen diese Ungerechtigkeit und wird zur Stimme der Unterdrückten.
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Melek Çetinkaya war bis vor einigen Tagen eine gewöhnliche Mutter in der Türkei. Doch ihre Mut hat sie zu einer führenden Figur im Kampf gegen die Repressionen der türkischen Regierung gemacht. Çetinkayas Sohn ist wegen Beteiligung am Putschversuch inhaftiert. Dabei war er lediglich ein Militärschüler und hat die Anweisungen seiner Vorgesetzten befolgt.
Bis heute ist nicht aufgeklärt, wer tatsächlich hinter dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 in der Türkei steckt. Skeptiker vermuten sogar, dass die Regierung um den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan selbst hinter dem vermeintlichen Putschversuch stecken könnte oder sie zumindest von den Bestrebungen frühzeitig Bescheid gewusst hatte. Aussagen Erdoğans, wie “Der Putschversuch ist ein Segen Gottes” bekräftigen diese Annahmen nur.
Dennoch haben sich seit jener Nacht die Schicksale hunderttausender Menschen in der Türkei verändert. Viele mussten das Land verlassen, größtenteils auf illegalen Wegen. Viele weitere haben ihre Jobs verloren, wurden aus dem Staatsdienst entlassen oder noch schlimmer, sie wurden inhaftiert, weil den meisten eine Nähe zur Gülen-Bewegung und somit zum Putschversuch vorgeworfen wurde. Und das, obwohl immer noch nicht bewiesen werden konnte, dass die Gülen-Bewegung etwas mit dem Putschversuch zu tun hatte.
Was aber klar ist, ist das der türkische Staatspräsident durch den Putschversuch mehr Macht bekommen hat und im Land eine Stimmung der Repression herrscht.
Kriminalberichte werden von Richtern missachtet
Die Nacht hat auch die Schicksäle tausender junger Menschen beeinflusst. Mittendrin waren 18- und 19-jährige Militärschüler. Der Sohn Melek Çetinkayas, Furkan, gehörte zu diesen Militärschülern. In jener Nacht wurde er ebenfalls verhaftet. Melek Çetinkaya sagt, dass ihr Sohn und die anderen Militärschüler auf Anweisungen der Generäle an unterschiedliche Orte gebracht wurden. Mit Waffen hätten diese jungen Schüler nichts zu tun gehabt. Die Kriminalberichte bestätigen die Aussagen der Mutter.
Dennoch wurden diese Berichte missachtet. Am Prozesstag nahmen plötzlich auch die Anwälte der Staatspräsidentschaft teil. Das gefällte Urteil: lebenslange Haftstrafe für 256 Militärschüler. Unter ihnen auch Furkan Çetinkaya.
Mutter Çetinkaya ermutigt andere Mütter
Mutter Çetinkaya wollte das nicht hinnehmen. Während des ganzen Prozesses hat die Mutter versucht via Social Media auf diese Ungerechtigkeit hinzuweisen. Nach der Entscheidung des Gerichts hat sie sich entschieden, ihren Kampf an öffentlichen Straßen fortzusetzen, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Dazu hat sie in den beliebten Straßen Ankaras Protestaktionen durchgeführt. Das ermutigte andere Mütter. Sie erhoben ihre Stimmen, doch schon bald griff die Polizei ein und verhinderte die Aktionen. Die Frauen werden immer wieder in Untersuchungshaft gesteckt. Das geht schon seit etwa drei Monaten so.
Melek Çetinkaya hat auch ein Youtube-Kanal eröffnet, in dem sie auf die Situation aufmerksam zu machen versucht. Bald will die Mutter einen “Gerechtigkeitsmarsch” organisieren. Die Aktion soll in Ankara starten und in Istanbul enden.
Die Aufmerksamkeit soll bei diesem Marsch nicht nur auf der Situation der Militärschüler liegen, sondern auch auf die der Schüler, schwangeren Frauen und Frauen mit Kindern, die wegen ähnlicher Vorwürfe inhaftiert sind. Auch auf die Situation der per Dekret entlassenen Menschen will sie aufmerksam machen.
66 Menschen festgenommen
Den ersten Startschuss wollte Melek Çetinkaya bereits am 19. Januar geben. Im Güvenpark in der Hauptstadt Ankara versammelten sich Menschen, die am Marsch teilnehmen wollten. Doch schon bald wurde die Aktion aufgelöst und etwa 66 Menschen wurden verhaftet. Melek Çetinkaya selbst durfte sich nicht einmal dem Park nähern. Schon nach ihrem Ausstieg aus der U-Bahn wurde die Mutter festgenommen.
Bei ihrer Festnahme hörte man, wie die Mutter schrie: “Ich bin eine Mutter, die leidet. Ihr habt 19-jährige Militärschüler zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Wir haben dreieinhalb Jahre geschwiegen. Ihr werdet uns nicht mehr zum Schweigen bringen. Die Gerechtigkeit wird dieses Land irgendwann erreichen.”
An der Aktion wollte auch der Abgeordnete der prokurdischen HDP, Ömer Faruk Gergerlioğlu, teilnehmen. Gergerlioğlu kritisierte in einem Twitter-Post die Verhaltensweise des türkischen Innenministeriums.
Schlechtbehandlung vom Mutter Çetinkaya in U-Haft
Melek Çetinkaya wurde nach einigen Stunden wieder freigelassen. In den darauffolgenden Tagen hat man die Mutter sogar kurz nach dem Verlassen ihrer Wohnung festgenommen. Diesmal soll die Antiterrorpolizei TEM den Fall übernommen haben. In den Räumlichkeiten dieser Abteilung musste die Frau anderthalb Stunden in Handschellen und mit dem Gesicht gegen die Wand warten. Die Beamten hätten sich über die kleine Größe der Frau lustig gemacht und sie gefragt, woher sie den Umgang mit Social Media gelernt habe. Das berichten Familienangehörige Çetinkayas. Nachts hat die Frau kein Bett zum schlafen bekommen und musste auf einem Betonboden schlafen.
Doch Melek Çetinkaya, die weiterhin in Untersuchungshaft sitzt, hat eine unerwartete Welle der Solidarität ausgelöst. Viele Menschen haben plötzlich angefangen, Videos zu drehen, um die Stimme der Frau hörbarer zu machen. Dabei weisen die auf die Ungerechtigkeiten und die Schuldfreiheit der Militärschüler hin. Fanatische Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan kritisieren diese Menschen.