Erstmals wird der Fall einer illegalen Abschiebung, sog. “Push Back,” in Griechenland vor einem Gericht behandelt. Erdoğan wurde vergangenen im Sommer illegal an die Türkei übergeben.
BOLD – Der Fall von Ayşe Erdoğan sorgte im vergangenen Sommer für Aufsehen, als die türkische Mathematiklehrerin an der türkischen Grenze in Griechenland durch griechische Sicherheitskräfte festgenommen und wieder in die Türkei gebracht wurde. Dieser Fall von Push Back sorgte für einen medialen Aufschrei in Europa. Zahlreiche griechische Medien, die britische BBC, Euronews und ARD berichteten über diesen Fall. Noch immer sitzt Ayşe Erdoğan in Folge des illegalen Abschiebung in der Türkei im Gefängnis. Dabei war sie vor ihrer Flucht bereits 28 Monate lang in einem türkischen Gefängnis inhaftiert. Wie in Zehntausenden anderen Fällen auch, lautet der Vorwurf bei der Lehrerin “Mitgliedschaft in einer Terrororganisation”.
Videoaufzeichnung und Screenshots als Beweismittel
Bei ihrer Flucht nach Griechenland am 4. Mai 2019 über den Fluss Evros gelang es der Lehrerin gemeinsam mit zwei weiteren Flüchtigen Videos und Screenshots von ihrem Pfad aufzuzeichnen. In ständigem Austausch mit ihrem Bruder informierte die Schutzsuchende ihn über ihren Situation. Als in dieser Phase Medienberichte über mögliche Push Backs von türkischen Asylsuchenden kursierten, wurde Ayşe Erdoğan von ihrem Bruder gewarnt. Deshalb versteckten sie sich in der Grenzregion und forderten Schutz von griechischen Rechtsanwälten und Journalisten. Dennoch wurden sie durch griechische Polizisten festgenommen und am nächsten Tag illegal in die Türkei zurückgeführt. Durch die Berichte in internationalen Medien und den Einsatz von Menschenrechtsorganisationen wurden die Videos und Screenshots von Ayşe Erdoğan als Beweismittel anerkannt. In einem Video, dass im Institut Forensic Architecture an der Universität in London in Zusammenarbeit mit der griechischen Menschenrechtsorganisation HumanRights360 zusammengestellt wurde, haben die Materialien von Erdoğan Eingang in ein griechisches Klageverfahren gefunden.
Kein Push Back, Auslieferung
Laut Stefanos Levidis, einem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Instituts Forensic Architecture, handelt es sich bei diesem Fall nicht um einen klassischen Push Back. Dabei wäre schon das ein mehrfacher Bruch von europäischem Recht. In dem vorliegenden Fall könne man von einer gezielten Auslieferung sprechen. Denn Griechenland habe die junge Frau und ihre Freunde nicht nur in die Türkei zurückgeführt, sondern auf direktem Wege in ein türkisches Gefängnis geliefert. Sie sitzt derzeit im Frauengefängnis von Gebze. Täglich höre man über Selbstmordversuche und Hungerstreik in diesem Gefängnis, so Levidis.
60 Fotografien, 4 Videos und ein ärztliches Attest
Die griechische Menschenrechtsorganisation Greek Council for Refugees habe dem Gericht seit November 2019 rund 60 Fotografien, 4 Videos und einen Bericht über den gesundheitlichen Zustand von Ayşe Erdoğan eingereicht. Darüber hinaus sei auch die erneute Verhaftung von Erdoğan in die Akten eingeflossen.
Die GCR vertritt Ayşe Erdoğan vor griechischen Gerichten. Die Anwältin Klotildi Prontsou ist zuversichtlich, dass die Klage Erfolg haben wird. “Der Fall ist real. Deshalb werden wir erfolgreich sein. Wir laden den Staatsanwalt dazu ein, sämtliche Belege erneut zu inspizieren.”