Laut Viktor Baranets, Medienberater einer russischen Zeitung und Ex- Militär, wird die Zahl der in Libyen gestorbenen türkischen Soldaten bewusst vertuscht, um einen Militärputsch in der Türkei zu verhindern. Der Hintergrund sei Waffenhandel.
BOLD ANALYSE
von Fatih Yurtsever
Ist Erdoğans Waffenhandel in Libyen in Gefahr?
Während sich die gesamte Weltöffentlichkeit mit der Bekämpfung des Coronavirus befasst, führt der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan sein Leben in seinem bewachten Palast unter Beobachtung eines Arztes weiter. Die aktuellen Ereignisse in Libyen und am Mittelmeer scheinen dem türkischen Präsidenten aber Sorgen zu bereiten.
Das hat mit einem Bericht des BBC Journalisten Benjamin Strick angefangen. In dem Bericht mit dem Titel “Turkeys Ghost Ships” wurden Informationen aus Open Sources genutzt. Am Tag der Veröffentlichung des BBC-Berichts haben EU-Staaten, gemäß den Entscheidungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, eine neue Operation beschlossen. Die Operation unter dem Titel “Irina” soll am 31. März starten und das Waffenembargo gegen Libyen kontrollieren.
Eine russische Nachrichtenagentur hat am 27. März eine Analyse veröffentlicht, in der es um Erdoğans Gier in Libyen ging. Laut der Agentur verursacht diese Gier den Tod von Dutzenden türkischen Soldaten. So sterben weiterhin türkische Soldaten auf libyschem Boden. Erdoğan würde die Verluste auf libyschem Boden aber wegen den möglichen innenpolitischen Folgen verheimlichen. Viktor Baranets ist ein ehemaliger Militärangehöriger in Russland. Heute berät er die russische Zeitung “Prawda” bei militärischen Themen. Baranets glaubt, dass die Veröffentlichung der tatsächlichen Opferzahlen türkischer Soldaten in Libyen zu einem Putsch des Militärs in der Türkei führen könnte.
In der Region um Libyen sind etwa 2000 türkische Soldaten stationiert. Diese nutzen den zivilen Flughafen von Mitiga als militärische Basis. Seit Anfang Februar sind bei Angriffen des abtrünnigen Generals Chalifa Haftar 16 türkische Soldaten sowie zwei zivile Ingenieure, die für die Kontrolle der unbemannten Drohnen verantwortlich waren, ums Leben gekommen.
Regionale Quellen sprechen von einem Gefecht, das am 22. März in der Region Ain Zara im Westen Libyens stattgefunden haben soll. Dabei sollen mehr als 50 türkische Soldaten sowie bezahlte syrische Soldaten ums Leben gekommen sein.
Hafter-nahe Quellen behaupten außerdem, dass das Erdoğan-Regime, trotz mehrfacher Aufrufe, die Leichen der türkischen Soldaten nicht abgeholt hat. Für den Experten Viktor Baranets könnte diese Behauptung stimmen. Die Leichen in die Türkei zu holen, könne das Volk empören und es könne einen militärischen Putsch anheizen, so Baranets.
Während dieser Ereignisse gab es Berichte in der russischen, bulgarischen sowie griechischen Presse über eine französische Fregatte, die zur NATO-Verteidigungsmission gehört. Diese soll am 28. März ein Schiff namens “PS PRAY” am türkischen Hafen Haydarpaşa dazu gezwungen haben, die Route zu ändern. Die “PS PRAY” soll Waffen nach Libyen transportiert haben. Außerdem sollen in dem Schiff auch Luftabwehrsysteme gelagert worden sein.
Warum sterben türkische Soldaten also in Libyen? Was ist der Hintergrund dieser Ereignisse?
Um es klar auszudrücken: Das Erdoğan-Regime verdient durch den Verkauf an die international anerkannte libysche Regierung des Ministerpräsidenten Fajis al-Sarraj Unmengen an Geld – und das trotz des Waffenembargos durch den UN-Sicherheitsrat. Dass dieses Geld nicht in die Staatskassen fließt, ist klar. Denn folgt man Aufnahmen der BBC, handelt es sich bei einem Teil der Fahrzeuge und Waffen um Produkte, die in einer Fabrik in der türkischen Stadt Sakarya hergestellt werden. Diese Fabrik wurde kürzlich wegen angeblichen finanziellen Problemen privatisiert und an Investoren aus Katar und dem regierungsnahen Unternehmer Ethem Sancak verkauft. In Wahrheit sollte dieser Waffenhandel auf diese Weise einfacher vonstatten gehen.
Das Erdoğan Regime hat, um die illegale Waffenlieferung und den Verlust türkischer Soldaten zu verschleiern, mit der libyschen Regierung eine Begrenzung der Einsatzgebiete im östlichen Mittelmeerraum vereinbart. Mit einer gezielten Manipulation, die Angelegenheiten im östlichen Mittelmeer seien von enormer Bedeutung für die Wahrung nationaler Interessen, wurde eine größere Diskussion der Waffenlieferungen und sonstige Unterstützung der libyschen Regierung verhindert.
Doch nach der Veröffentlichung eines Beitrags des regierungskritischen Internetportals OdaTV, wonach am 28. Februar am Hafen von Tripolis ein Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT getötet worden sein soll, der die Waffenlieferungen an Libyen koordinieren sollte, gab es eine prompte Reaktion der Regierung. So wurden als Reaktion auf den Beitrag die OdaTV-Journalisten Barış Pehlivan und Barış Terkoğlu verhaftet, der Yeniçağ Autor Murat Ağırel wurde unter Auflagen immerhin freigelassen.
Die Verhaftung der Journalisten zeigt, wie weit die Probleme des Erdoğan- Regimes in Libyen reichen. Wenn nicht sofort mit dieser Härte gegen die Journalisten vorgegangen worden wäre, hätte das möglicherweise eine weiterführende Untersuchung beflügelt. Vielleicht wäre so die dreckige Seite der Waffenlieferung an Libyen sichtbar geworden. Von nun an sollte feststehen: Wer zu diesem Thema recherchiert, muss mit einer Haftstrafe rechnen. Die türkische Öffentlichkeit ist in diesen Themen weiterhin auf ausländische Medien angewiesen.
Dass diese Themen auch in russischen Medien auftauchen ist kein gutes Zeichen. Denn die Vergangenheit zeigt: Immer wenn die Russen solche Akten auf den Tisch legten, hat Erdoğan für eigene Interessen, die Interessen des Landes geopfert.
Während Europa Erdoğan bislang in Angelegenheit um Syrien und Libyen auf Kosten der Flüchtlinge in Ruhe ließ, hat die Öffnung türkischer Grenzen und Verlagerung der Flüchtlinge an die griechische Grenze scheinbar ein Umdenken verursacht. Die Operation “Irina” zeigt dies am deutlichsten. Europäische Staaten wollen ab dem 31. März das Mittelmeer überwachen und das Waffenembargo kontrollieren. Dass das französische Schiff bereits zu diesem Zeitpunkt auf die Route eines Schiffes eingreift, weil es vermeintlich Waffen transportiert, liefert einen ersten Hinweis, wie sich das Verhältnis in den Gewässern vor der Türkei bald verändern wird.
In einem Interview sagte US-Präsident Donald Trump, “Ich sagte den Kurden und Erdoğan, sie sollen sich einigen. Zunächst weigerten sie sich, aber danach haben sie sich geeinigt”. Wie auch hier zu sehen ist, zählt Erdoğan nur seine eigene Zukunft. Für den türkischen Präsidenten zählt einzig der Handel mit Waffen und Öl. Wie einst mit dem IS könnte sich Erdoğan nun auch mit der PYD hinsetzen und einen Deal zum Verkauf von Waffen und Öl vereinbaren.
Wenn man auf die Ereignisse in Libyen nicht aus dieser Perspektive blickt, kann man die Hintergründe nicht richtig verstehen. Erdoğan hat mit der Belagerung der EU-Grenzen mit den Flüchtlingen der Union Schmerzen zugefügt. Doch er hat auch seine schärfste Munition verbraucht. Mal sehen, ob die EU den Geldfluss aus Libyen nun unterbrechen kann. Oder zu welchem Preis wird Erdoğan die Europäer diesmal davon abhalten, sich in seinen Waffenhandel einzumischen?
Der Text wurde für die deutsche Version redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.