Bold hat mit Angehörigen von drei Gefangenen aus dem Silivri-Gefängnis in Istanbul gesprochen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. „Das kann unser letztes Gespräch sein. Sie behandeln uns, als hätten wir die Pest. Verzeih mir meine Fehler.“ sagte der ehemalige Student der Luftwaffenakademie, Yasin Solmaz.
Von Sevinç Özarslan
Seit dem 6. Mai gibt es Meldungen über Corona Fälle im Silivri-Gefängnis von Istanbul. Der erste Fall wurde im Bereich 7 im Trakt C7 bekannt. Es handelt sich um den ehemaligen Militärkadetten Enes Karaduman. Danach musste die Staatsanwaltschaft von Istanbul-Bakırköy eine Stellungnahme abgeben. Karaduman und weitere 44 Gefangene seien ebenfalls positiv getestet worden, hieß es darin. Allerdings dürfte die Dunkeltziffer weitaus höher liegen.
Das Silivri-Gefängnis besteht aus 10 Bereichen, die alle anders geleitet werden. Die meisten Fälle gibt es in den Bereichen sieben und acht. Zwei Zellen im Bereich 7 sind für Quarantänefälle umgewandelt worden. In dem Trakt 10 sind 34 Gefangene und im Trakt B12 43 Gefangene unter Quarantäne. Drei Angehörigen von Betroffenen haben mit BOLD gesprochen.
Die Ehefrau des zu lebenslanger Haft verurteilten ehemaligen Militärkadetten Sayin Solmaz, Şakire , die Ehefrau des ehemaligen Lehrers M.T., und die Ehefrau des ehemaligen Polizisten Ali Çiçek und auch sein Onkel und Rechtsanwalt Fatih Çiçek, der gleichzeitig sein Verteidiger ist, haben mit uns über die Umstände in dem größten türkischen Gefängnis gesprochen. Alle drei Betroffenen haben über das E-Gesundheitssystem „e-Nabız“ die Bescheinigungen, dass sie positiv auf das Coronavirus getestet wurden und haben deswegen vor Gericht ihre Freilassung gefordert.
„Erstmals mit mir so gesprochen“
Nur zwei Tage nach der Diagnose hat die Ehefrau von Yasin Solmaz mit ihm gesprochen.“Mein ehemann ist seit drei Jahren und 9 Monaten im Gefängnis. Er hat zum ersten Mal mit mir so gesprochen. Er hat nie sehr viel über sich gesprochen, damit ich nicht traurig bin. An diesem Tag hat mein mit mir so gesprochen, dass ich es nicht beschreiben kann. Er sagte, es könnte unser letztes Gespräch sein. Bevor er auflegte, bat er mich um Verzeihung. Er ist in so einer Verfassung. ´Sie behandeln uns so, als hätten wir die Pest. Niemand kommt hierher,´sagte er.
„Seid unsere Stimme“
„Mein Sohn wurde offiziell dem Tode überlassen,“ sagt Vater Ekrem Solmat. „Nach dem er nur fünf Tage lang Medikamente gegen eine Erkältung bekommen hat wurde er nicht mehr medizinisch untersucht. Sie warten darauf, dass er stirbt. Mein Sohn muss sofort ins Krankenhaus verlegt werden. Er hatte mehrfach Zusammenbrüche und Fieberschübe. Helfen Sie uns, vielleicht ist es unser letzter Aufruf. Er hat erstmals seine Ehefrau um Hilfe gebeten. Werden Sie zu unserer Stimme und sorgen Sie dafür, dass sie überall gehört wird,“ sagte der Vater des ehemaligen Militärkadetten.
„Mein Neffe wurde vergangenen Mittwoch positiv getestet. Wir haben beim zuständigen Gericht in Istanbul einen Antrag eingereicht. Derzeit wird das Recht auf Leben meines Mandanten ignoriert,“ sagt Fatih Çiçek, Verteidiger und Onkel des Gefangenen.
Die Aussagen der Familien
Şakire Solmaz, Ehefrau des ehemaligen Militärkadetten Yasin Solmaz (34):
Mein Sohn war auf der Luftwaffenakademie in der 1. Klasse für den Generalstab. Er war Leutnant. Wir suchen seit vier Jahren nach Gerechtigkeit. Wir sind aber an einem Punkt angekommen, wo uns die Geduld ausgegangen ist. Mein Mann war in der selben Zelle wie Enes Karaduman, der erste, der positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Am 6. Mai wurde auch mein Mann positiv getestet. Ich habe davon durch Zufall erfahren, als ich in das elektronische Gesundheitssystem „e-Nabız“ geschaut habe. Wir haben danach sofort mit unserem Rechtsanwalt mit dem Gefängnis in Verbindung getreten. Einen Tag später wurde er am 7. Mai ins Gefängniskrankenhaus gebracht. Dort wurden alle nötigen Tests gemacht. Er bekam Medikamente und wurde in die Quarantäne-Zelle verlegt. Danach habe ich erstmals mit meinem Ehemann am Mittwoch gesprochen.
Momentan geht es meinem Mann psychisch schlecht. Er erzählte mir über die Bedingungen im Gefängnis und bat mich um Hilfe. Er ist in einer Zelle mit 39 Gefangenen im Trakt B12. Es handelt sich dabei um eine Quarantänezelle.
“Wir wurden dem Tod überlassen”
Als mein Mann positiv getestet wurde, habe die Gefängnisleitung gesagt, dass sie in Quarantänezellen für 7 – 8 Gefangene kämen. Zudem sagten sie, dass on morgens bis abends läuft die Belüftungsanlage laufe sowie ständig das Fieber gemessen werde. Als ich mit meinem Mann gesprochen hatte, sagte er, dass das alles nicht stimme. Sie sind in der Zelle zu 39. Essen bekämen sie aber nur für 15 Personen. Zuletzt hätte man sein Fieber vor drei Tagen gemessen. Fünf Tage, nachdem er positiv auf das Coronavirus getestet wurde, sind seine Medikamente zu Ende gegangen. Er müsste erneut medizinisch untersucht werden.
Ich schaue regelmäßig ins elektronische Gesundheitssystem e-Nabız nach. Jeden Tag gibt es einen automatischen Eintrag. Er sei demnach von einem Hausarzt untersucht worden. Aber weder von Medikamenten noch Tests ist da die Rede. Nur einmal nach seinem Test wurde mein Mann ins Krankenhaus gebracht. Danach hat es keine medizinischen Untersuchungen oder Tests gegeben, erzählte mir mein Mann. Sie können derzeit auch nicht von ihrem Rechts auf Anträge stellen oder Lebensmittel einkaufen im Gefängnis Gebrauch machen.
Mein Mann ist seit drei Jahren und neun Monaten in dem Gefängnis. Aber mein Mann hat mit mir so geredet, wie nie zuvor. Er begann damit, dass es unser letztes Gespräch sein könnte und dass er mir alles bis ins Detail erzählen möchte. Bevor er auflegte, wollte er noch, dass ich ihm vergebe. ´Sie haben uns dem Tod überlassen und bat mich um Hilfe.´
„Sie behandeln uns so, als hätten wir die Pest“
39 Kranke sitzen derzeit in der selben Zelle. Wie kann ihre psychische Verfassung dann gut sein. Auch die Aufseher haben sich zurückgezogen. ´Sie behandeln uns, als hätten wir die Pest,´sagte er. Sie kämen nur ein Mal morgens und dann ein Mal Abends. Die Gefangenen haben Angst, dass man sie im ernstfall nicht hören würde. Seine Zuckerwerte waren immer im kritischen Zustand. Er ist seit fast vier Jahren eingesperrt. Ich weiß nicht, wie seine Blutwerte heute aussehen.
„So wenig haben wir noch nie bekommen“
Seit 42 Monaten ist auch Ali Çiçek im Bereich 7, Trakt B10 des Silivri-Gefängnisses eingesperrt.
„Beim letzten Telefongespräch sagte mir mein Mann, dass er Kopfschmerzen hat. In seiner Zelle gäbe es viele Kranke, die an Grippe- und Fieberähnlichen Syptomen leiden. Nach einem Test stellte sich heraus, dass 29 Insassen der Zelle mit dem Coronavirus infiziert seien. Die negativ Getesteten wurden in eine andere Zelle verlegt. Die Trakte B10 und B12 befinden sich nebeneinander. In B10 gibt es 34 positive Fälle und in dem Nachbartrakt 43.
Wenn ich das elektronische Gesundheitssystem e-Nabız schaue, steht dort,d ass mein Mann jeden Tag gesundheitlich untersucht wird. Das stimmt aber nicht. Nur einmal wurde er ins Krankenhaus zur Blutprobe und zum Röntgen gebracht. Ihm wurden Medikament für nur fünf Tage gegeben. Die Bedingungen in seiner Zelle sind sehr schlecht. Es gibt Probleme mit dem Essen. `So wenig haben wir noch nie bekommen,´ sagte er. Sie konnte sich früher selber Lebensmittel in der Kantine kaufen, diese jetzt aber geschlossen. Mein sagte mir, er könne nicht mehr fasten. Für die Toilette müsse man anstehen. Es gibt zu viele Menschen. Wenn es einem gut geht, kann er sofort von einem anderen angesteckt werden.
Seit 19 Monaten ist in Bereich 7 Trakt B12 auch der Lehrer M.T. eingesperrt. Am 6. Mai wurde der Mann ebenfalls positiv auf das Coronavirus getestet. Seine Ehefrau berichtet ihren Mann seit 65 Tagen nicht gesehen zu haben. Seitdem 6. Mai vergehe für die Ehefrau des Inhaftierten jede Woche wie ein Jahr.
„Am 6. Mai wurde mein Mann positiv getestet. Die Staatsanwaltschaft von Istanbul-Bakırköy hatte damals mitgeteilt, dass sich 44 Häftlinge mit dem Coronavirus infiziert hätten. Mein Mann ist in dieser Zelle. Derzeit sind zu 39 dort eingesperrt. Seit 65 Tagen kann ich meinen Mann nicht sehen . Seit dem 11. März gibt es ohnehin Besuchsverbote. Auch die Rechtsanwälte dürfen die Gefangenen nicht mehr besuchen, weil sie unter Quarantäne seien.
In dem elektronischen Gesundheitssystem e-Nabız, dass er regelmäßig von einem Arzt untersucht wird. Ich hatte ihn bei unserem letzten Telefonat gefragt, was mit ihm los sei, weil er vor 2 Tagen laus e-Nabız beim Arzt war. Er sagte, dass stimme nicht. Ihnen werde nur das Fieber gemessen. Die Gefangenen werden nicht zum Arzt gebracht, dennoch wird es aber so eingetragen.
„Aufseher kommen in Ganzkörperanzügen“
Die Häftlinge sind unter Gefahr. Ihr Immunsystem ist schwach und es gibt keine Isolation. Auch ihr Essen ist sehr schelcht. Seit zwei Wochen haben sie weder Obst noch Gemüse bekommen. Sie bekommen nur einige Löffel essen. `Wir wurden hier dem Tode überlassen. Niemand wagt sich hierher,´sagt er. Und wenn die Aufseher kommen, dann in Ganzkörperanzügen.
Er bat mich überall für seine Freilassung zu kämpfen. Er fragte mich, ob mich das Gesundheitsministerium angerufen hätte. Wir haben überall schon Anträge für seine Freilassung gestellt.
Der Rechtsanwalt von M.T. erzählt, dass es im Silivri-Gefängnis über 200 Fälle gibt. Die Gefängnisleitung habe aber keine Maßnahmen getroffen. Familien der Gefangenen würden nicht informiert werden. Das Leben der Insassen sei in ernster Gefahr.
Der Text wurde für die deutsche Übersetzung redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.