In türkischen Gefängnissen sitzen zahlreiche Kinder und Babys die Haftstrafe ihrer Mütter mit ab. Das wohl bekannteste Beispiel ist die deutsch-türkische Journalistin Meşale Tolu und ihr Kind. Mutter und Kind waren über mehrere Monate im Gefängnis. Heute reist die Journalistin durch die Bundesrepublik und liest aus ihrem Buch, dessen Name bezeichnend ist: “Mein Kind bleibt bei mir”. Bei ihr im Gefängnis also. Hunderte Frauen und Kinder teilen das Schicksal von Tolu. So wie Emine A. im Gefängnis von Çorum.
von Sevinç Özarslan
Türkische Gefängnisse sind überfüllt. Die türkische Regierung baut derzeit 137 neue Haftanstalten. Einige sollen marode alte Bauten ersetzen. Doch eine Vielzahl ist dafür vorgesehen, die derzeit zum 200% ausgelasteten Gefängnisse zu entlasten. Das wohl größte Drama um türkische Haftanstalten ist die Tatsache, dass Hunderte Kinder und Babys mit ihren Müttern zusammen hinter Gittern sitzen. Emine A. berichtet nun von ihrer Zeit im Gefängnis von Çorum, einer Stadt in Zentralanatolien. “In überfüllten Zellen wurden die Kinder andauernd zum Schweigen und zur Ruhe aufgefordert. So haben diese Kinder gelernt im Stillen zu weinen”, erklärt Emine A. die herzzerreißende Lage von Kindern, die keine normalen Kinder sein können. Sie sind die Kinder von Lehrerinnen und anderen Staatsbediensteten, die im Zuge des fragwürdigen Putschversuchs vom 15. Juli 2016 inhaftiert wurden. Auch Emine A. war im Zuge der Verhaftungswelle der türkischen Regierung gegen mutmaßliche oder tatsächliche Anhänger der Gülen-Bewegung im Gefängnis. Nach vielen Monaten kam sie frei und hat nun einiges zu berichten.
Babys weinen still. Es gibt keine Heizung.
Als sie verhaftet war, seien mit den 16 Insassen zusammen drei Babys in ihrer Zelle gewesen. Zwei weitere Babys seien immer wieder für mehrere Tage zu ihren Müttern gekommen. “Weil in dem ohnehin überfüllten Raum keine besonders guten Umstände vorherrschten, mussten wir die Kinder immer wieder zu Ruhe und Stille ermahnen. So haben sie die Eigenschaft entwickelt, leise und im Stillen zu weinen”, erzählt Emine. Als Beispiel nennt sie den kleinen Hamza. Er sei mit nur sieben Monaten ins Gefängnis gekommen. Seit einer Woche habe sie Hamza in Obhut genommen. Damit das kleine Kind mit einer Vertrauten mit der Freiheit in Berührung kommt. Doch das Kind weine permanent. Deshalb werde sie das Kind wieder zu seiner Mutter ins Gefängnis bringen müssen. Sie hätte das Kind aufgenommen, da im Gefängnis keine Heizungen existieren. Çorum und generell Zentralanatolien ist für eiseskälte im Winter bekannt. Ohne Heizkörper ist es oftmals selbst für Erwachsene kaum zu ertragen. Geschweige denn für kleine Kinder und Babys. Über die Psyche von Hamza sagt Emine A., dass das Kind permanent leise weine. Er vergieße zwar Tränen, aber er sei stets still. “Er sagt nur “Mama” und danach kommt nichts”, erklärt Emine A. weiter. Hamza habe noch einen älteren Bruder (10) und eine ältere Schwester (7), die in Kahramanmaraş bei den Großeltern wohnen. Denn nicht nur Hamzas Mutter Gülende B., sondern auch sein Vater Erdal B. sitzen in Haft.
Medikamente wurden verweigert
Emine A. berichtet davon, dass in ihrer Haftzeit Medikamente verweigert wurden. Sie sei Diabetikerin, doch trotz Leb Lebensgefahr habe sie ganze 25 Tage auf ihre Medizin warten müssen. “Ich war drei Monate inhaftiert. Dort gibt es psychischen Druck. Ich bin krank geworden und sie brachten mich zum Arzt. Meine Hände fühlten sich taub an. Der Arzt sagte, dass ich dringend operiert werden müsse. Ich sagte, dass ich dort nicht operiert werden möchte. Ich wollte in der Freiheit operiert werden. Der Arzt sagte, er wolle mir eine medizinische Apparatur verschreiben werde. Ich wartete einen ganzen Monat auf dieses Gerät. Was soll ich dazu noch sagen?”, klagt Emine A. die Umstände an.
Abgeordneter Gergerlioğlu (HDP): Der Heizkessel ist defekt
Der Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu (HDP) setzt sich schon seit langem für Menschenrechte in der Türkei ein und scheut sich nicht davor Menschenrechtsverletzungen öffentlich zu kritisieren. Gergerlioğlu setzte sich auch im Fall vom kleinen Hamza ein. Konkret geht es dabei um die defekten Heizungen im Gefängnis. In den sozialen Netzwerken berichtet der HDP-Politiker über sein Gespräch mit den Verantwortlichen der Haftanstalt. Ihm sei gesagt worden, dass zwei Heizungskessel explodiert sein. Man wolle das Problem noch in derselben Nacht beheben, so der Politiker in seinem Posting auf Twitter.
Die deutsche Version des Textes ist redaktionell bearbeitet worden. Das Original finden Sie hier.