Fatma Demir war gemeinsam mit ihrer Tochter und ihrem Enkel in der selben Gefängniszelle inhaftiert. Ihre Geschichte erinnert an die Progrome vom 6. und 7. Juli 1955 gegen die griechische Minderheit in Istanbul.
von Cevheri Güven
Die Familie Demir stammt aus Erzurum und lebte seit 28 Jahren in Fethiye. Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 mussten 8 Mitglieder der Familie ins Gefängnis. Was die Familie erlebt hat, erinnert dan die Progrome zwischen dem 6. und 7. September 1955 an der griechischen Minderheit in Istanbul. Von der Entscheidung der Nachbarn im Dorfcafe ihr Eigentum zu zerstören, die Haft mit Tochter und Enkelkinder in der selben Gefängniszelle, das Tragen der selben Kleidung über Monate in Haft.
Polizei: „Wir haben einen Schatz gefunden“
Nachdem die Reisepässe Fatma Demir und ihr Mann Mevlüt nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 für ungültig erklärt wurde, hatte die Familie die annähernde Katastrophe erwartet. 5 der Familienmitglieder wurden gleichzeitig bei den im Rahmen der Massenverhaftungen gegen Mitglieder der Gülen-Bewegung verhaftet. Am Ende werden Fatma Demir, ihren Mann Mevlüt, ihr Sohn, ihre Tochter, ihre Schwiegertochter, ihre zwei Schwiegersöhne sowie ein Enkelkind.
Im Gespräch mit BOLD erzählt Fatma Demir ihre Tragödie:
„Mein Sohn Onur, meine Schwiegertochter, meine Tochter Esra, mein Schwiegersohn Mahmut waren zu Besuch bei uns. Plötzlich stürmte die Polizei in unser Haus. Sechs stunden musste wir sitzen ohne uns bewegen zu dürfen. Sie haben mir nicht einmal erlaubt für meinen Enkelsohn Milch aus dem Kühlschrank zu nehmen. Zu dieser Zeit sind war mein Mann und meine Tochter unterwegs. Sie habe uns sechs festgenommen. Die Polizisten hatten ihrem Vorgesetzten am Telefon ´wir haben einen Schatz gefunden´gesagt. Ich glaube, die Beamten bekommen Prämien bei solchen Maßnahmen.
Zunächst waren wir 11 Tage in Polizeigewahrsam. Immer wenn wir zur täglichen medizinischen Untersuchung gebracht wurden, durften wir uns nicht einmal ansehen. Nach 11 Tagen wurden wir viereinhalb Stunden verhört. Es war ein langer Polizist mit schmalen Gesicht und Bart. Bei dem Verhör hatte er sich immer wieder auf den Tisch geschlagen und sich über den Tisch gebeugt, als ober er zuschlagen wollte. Er sagte ´sprich Frau, sprich.´Ich bin 54 Jahre alt. Er wollte wissen, wer mich verheiratet hat. Ich sagte, ´mein Vater.´ Es waren merkwürdige Fragen. Nach viereinhalb Stunden Verhör ging es mir sehr schlecht. Danach sagte er zu seinem Kollegen ´aus denen wird nichts.´ Was hätte ich auch erzählen sollen?
Danach erging Haftbefehl gegen alle. Sie haben uns in Gefängnisse in drei verschiedenen Städten verteilt. Sie wollten uns damit zusätzlich quälen, damit wir nicht innerhalb eines Gefängnisses sehen können.“
„Ich hatte nur die Sachen, die ich anhatte“
Nachdem die Familie ins Gefängnis kam, gab es niemanden, der in die Haftanstalt Kleidung oder Geld brachte:
„Ich wurde ins Gefängnis von Denizli gebracht. Es gab niemanden der mir Kleidung oder Geld gebracht hat. Wir hatte alle die selben Probleme. Hatten wir in einem Moment Reichtum, hatten wir im nächsten Moment nichts mehr. Mein Mann war Bauunternehmer, uns ging es deswegen gut. Von einem Moment auf den anderen haben wir alles verloren.
Ich hatte dunkel blaue Kleidung an. Im Gefängnis waren blaue und grüne Kleidung verboten. Die Wärter forderten mich auf die Kleidung abzulegen. Obwohl ich sagte, ich hätte keine andere Kleidung, bestanden sie darauf. Sie haben deswegen großen Druck auf mich ausgeübt. Sie haben mich in einer Zelle gebracht, in der Studentinnen und junge Lehrerinnen inhaftiert waren. Ich wog mehr als sie, so dass ihre Kleidung mir nicht passte. In dieser Zeit hatte mein Mann meinem Anwalt ausreichend Kleidung für mich gegeben. Sie hatte meinem Mann gesagt, dass sie diese Kleidung mir gegeben hatte, doch sie hatte es nicht. Erst nachdem ich entlassen wurde habe ich diese Kleidung bekommen. Dieser Anwalt hat uns auch Leid angetan.“
„Als die Zelletür aufging, kam meine Tochter rein“
In der Haftanstalt hatte Fatma Denir keinen Besuch. Im zweiten Monaten ihres Gefängnisaufenthalts kam ihre Tochter in die Zelle: „Eines Tages ging die Zellentür auf und ich sah meine Tochter. Sie sagte ´Anne´ (türkisch für Mutter, Anm. d. Red.). Wir haben uns sofort umarmt. Alle in der Zelle weinten. Sie erzählte, dass auch mein Mann verhaftet wurden. Ich bekam Schüttelfrost auf meiner linken Seite, der sehr lange anhielt. Der Gefängnisarzt gab mir deswegen sehr starke Medikamente. Ich weiß es nicht, welches Medikamente es ist. Die gaben mir nur die Pillen und nicht das Rezept. Alle in der Zelle fragten, was mit mir los sei. Später fand ich heraus, dass das selbe Medikament Leute zur Beruhigung bekommen, die sehr aggresiv sind und alles in ihrer Umgebung angreifen. Ich war wie ein Roboter. Nach meiner Entlassung hat mein Arzt gesagt, dass es sehr starke Pillen waren. Es hat nach meiner Entlasung Tage gedauert, bis ich zu mir kam. In den Gefängnisse bekommt auch falsche Medikament, die das Gehirn einschläfern.
Ich war mit meiner Tochter drei Monate gemeinsam inhaftiert. Meine Tochter hat ihr Kind in dieser Zeit sehr vermisst. Sie hat immer wieder geweint und seinen Namen ´Levent´gerufen. Sie hat es nicht mehr ausgehalten und hat Levent zu sich genommen. Ich, meine Tochter und mein Enkelsohn Levent waren in der selben Zelle. Mein Mann und mein Schwiegersohn waren in einer anderen Zelle. Mein Sohn und mein anderer Schweigersohn waren im Gefägnis von Muğla. Meine Schwiegertochter war im Gefängnis von Aydın. Wir haben vielleicht hunderte Male Anträge gestellt, damit mein Sohn Onur ins Gefängnis von in das selbe Gefängnis wie sein Vater verlegt wird. Sein Vater war krank und pflegebedürftig. Vater und Sohn sind dann ein Jahr lang gemeinsam in einer Zelle geblieben. Nachdem die Strafe meines Sohnes durch den Kassationshof bestätigt wurde, hat man ihn dann in eine andere Zelle verlegt. Die Adern im Kopf meines Mannes waren verstopft und konnte nicht operiert werden, weil er im Gefängnis war.
Mein Sohn wollte das nicht und bat die Aufseher mit dem Gefängnisdirektor deswegen zu sprechen. Ein Spezialteam ist dann gekommen und haben meinen Sohn in den Folterraum gebracht. Sie wollten, dass er sich nackt auszueht. Mein Sohn hat uns nicht alles erzählt, aber die Beamten haben ihn dann ausgezogen und seine Hände von hinten gefesselt. Auch seine Füße wurden gefesselt. Er musste dann stundenlang auf dem Bauch liegen , bis sie ihn wieder freigelassen haben. Er wollte doch nur dem Gefängnisdirektor die Krankheit seines Vaters erzählen.
„Mein Enkel war die Hoffnung der Zelle“
Fatma dmeir erzählt über ihren Enkelsohn, dessen einziges Spielzeug der Stil eines Handfegers war. „Das Kind wollte raus und hat immer wieder gegen die Zellentür gedrückt. Es gab keine Spielsachen. Er hat mit dem Stil eines Handfegers gespielt. Er kletterte auf die Betten, fiel runter und weinte. Er ging die Treppen rauf und runter. Dann hat er den anderen in der Zelle gesagt ´seid nicht traurig, es dauert nicht mehr lange´gesag und andere zum Lachen gebracht.
Wenn jemand gewein hat ist er zu ihr gegangen. Er hatte dann gesagt, ´bald sind wir raus´und sie getröstet. Zwei Jahre land ist er sehr oft mit seiner Mutter zum Gericht gebracht worden. Im Gericht hatte er sogar einmal gebetet. Weil er im Gefängnis nur unter Frauen war, wollte er beim Beten auch ein Kopftuch anziehen.
„Als ich entlassen wurde, habe ich meinen Liebsten zurückgelassen“
„Immer wenn jemand entlassen wurde, haben die anderen in den Korridoren geklatscht und ihren Namen gerufen. Als ich entlassen wurde, ist das nicht geschehen. Es war traurig, so als ob die Braut das Haus ihrer eigenen Eltern verlässt. Ich wurde entlassen, habe aber meine Tochter und meinen Enkelsohn zurückgelassen. Sieben Personen aus meiner Familie habe ich zurückgelassen. Es war so, als ob ich ein Teil von mir zurücklasse. Alle weinten. Als ich zurücksah, sah ich meine Tochter mir zuwinken. Es war sehr schwer.
Nachdem ich entlassen wurde, habe ich die Gefängnisse von Aydın, Muğla und Denizli besucht um die sieben Personen aus meiner Familie zu sehen. Weil die Besuche nur morgens möglich waren, musste ich einen Abend vorher anreisen. Es war sehr schwierig. Nur einmal in der Woche konnte ich in Fethiye bleiben. Die restliche Zeit war ich nur unterwegs.
Dorfbewohner treffen Entscheidung Eigentum von Familie Demir zu zerstören
Mit der Zeit wird das Eigentum der einst wohlhabenden Familie Demir vom Staat beschlagnahmt oder von den Anwohnern zerstört. Es erinnert an die Progrome zwischen dem 6. und 7. September 1955 gegen die griechische Minderheit:
„Wir konnten nicht mehr an unsere Bankkonten und unser Eigentum. Weil wir unsere Kredite nicht zurückzahlen konnten, wurden aber unsere Schulden immer mehr. Nachdem ich entlassen wurde, musste ich gegen die Beschlagnahmungen vorgehen und unsere Schulden waren stark angestiegen.
Wir hatten zu der Zeit ein neues Grundstück erworben. Es war etwa 23.000 Quadratmeter groß. Auf 5.000 Quadratmetern waren Pfirsischbäume. Wir haben konnten nur einmal von dort Pfirsiche Pflücken. Als auch mein Schwiegersohn entlassen wurde hatten wir uns entschlossen von dort Pfirsische zu pflücken. Die Bäume waren alle weg. Unser Nachbar hat mit seinem Traktor die ganzen Bäume zerstört um dort sein eigenes Feld zu haben. Er hat 50 Pfirsischbäume von uns zerstört. Der Wallnusbaum, Birnenbäume, Olivenbäume, alles war weg oder verkauft. Die Anwohner hatten sich im Dorfcafe getroffen und gesagt ´dieses Haus, dieses Anwesen gehört Terroristen. Lasst es uns niederbrennen.“ Sie haben die Scheiben unseres Hauses eingeschlagen und sind eingedrungen. Sie haben das Bewässerunsgsystem unseres Gartens abmontiert und bei sich selbst aufgestellt. Weil das Grundstück 28.000 Quadratmeter groß war, hatten wir den Dorfbewohnern angeboten, dass sie das Grundstück mitnutzen, pflanzen und ernten können. Sie haben unsere Pfirsisch- und Wallnussbäume zerstört. Unsere Absicht ist eine andere als ihre gewesen.“
Plünder-Phase
„Wir hatte ein Auto, dass wir gerade einmal vor vier Monaten gekauft hatten. Ein Polizist ist mit einem Abschleppwagen gekommen und hat es mitgenommen, als wir alle im Gefängnis waren. Er hat es ungefähr 1 Jahr lang gefahren. Wir dachten, dass Auto sei auf dem Hof des Polizeipräsidums. Wir haben erst nach anderthalb Jahren erfahren, dass das Auto gestohlen wurde.
Wir hatten noch nicht fertiggestellte Bauprojekte. Die Kunden hatten 40.000 TL investiert und wollten aber 120.000 TL zurück. Sie haben unsere Immobilien beschlagnahmt aber die Strom- und Wasserkosten mussten wir weiterhin bezahlen. Ständig musste ich Schulden ausgleichen. Seit zwei Jahren renne ich zu Gerichten, Gerichtsvollziehern und Grundbuchamt.
Unser Bürogebäude wurde beschlagnahmt. Unser vier-stöckiges Haus verkauft. Unsere Schulden bei der Bank sind stark angestiegen. Nichts was auf meinen Mann registriert war, durfte verkauft werden. Alles was auf mich registriert war, wurde verkauft. Ich verlor mein Haus und wohne jetzt zur Miete. Obwohl wir 2017 keine Einnahmen hatten mussten wir 10.000 TL Einkommenststeuer und 8.000 TL Mehrwertsteuer zahlen.
Weil wir das nicht rechtzeitig bezahlen konnten, müssen wir jetzt 35.000 TL Mahngebühren bezahlen. Sie haben nicht die Sperren von unseren Bankkonten auf. Wir können unser Eigentum verkaufen. Wir können auch nicht Gelder, die uns geschuldet werden, einfordern.“
„Rechtsanwalt lässt uns im Stich“
„Wir haben einen Rechtsanwalt beauftragt. Er sollte die komplette Familie verteidigen. Er wollte nicht einmal eine Vollmacht. Er hat nicht einmal die Kleidung überbracht. Er nahm von uns 27.000 TL und hat nicht als Verteidiger getan. Wir haben einen Kummer nach dem anderen erlebt.“
„Als mein Mann entlassen wurde, kannte er unsere neue Adresse nicht“
„Mein Mann wurde entlassen. Sei Haus wurde verkauft. Wir hatte einen Laden, in dem wir Baustoffe verkauft hatten, auch das wurde verkauft. Er kannte die Adresse nicht, in der ich zur Miete wohne. Er hatte kein Auto mehr, kein Haus, keine Arbeit, kein Büro und die läden waren verkauft. Obwohl in dem Laden Materialien für 300.000 TL drin waren, wurde der Laden für 60.000 TL verkauft.
´Ich habe sehr viele Steuern an diesen Staat gezahlt, dieses Land sehr geliebt. Aber jetzt will ich nichts mehr machen. Es muss ein wenig Zeit vergehen,´sagt mein Mann.
Jetzt haben sie uns angeboten, dass wir unser Bürogebäude zurückbekommen, wenn wir per Unterschrift auf eine Schadensersatzklage für die illegale Beschlagnahmung des Gebäudes verzichten. Mein Mann sagte, dass er nicht von seinem Recht zurücktreten werden auch wenn sie ihm 100 Bürogebäude geben. Das Büro ist immer noch geschlossen. Alles ist weg.
„Wir haben unsere Geduld und Widerstandskraft nicht verloren“
Wenn nur eine Person aus einer Familie verhaftet wird, zerstört es ihre Psyche. Aus unserer Familien wurde acht Personen festgenommen aber unsere Psychologie wurde nicht zerstört. Alle bekommen im Gefängnis Besuch. Niemand hat mich im Gefängnis besucht. An den Besuchstagen habe ich immer den Küchendienst übernommen. Die Mitinsassen waren traurig darüber. Ich nicht.
„Wir haben in unser Haus nicht eimal Spielzeugwaffen reingenommen. Wir sind keine Terroristen“
Das neue Strafvollzugsgesetzt habe Fatma Demir Hoffnung gemacht, obwihl sie nicht viel erwartetet habe. „Wir sind keine Terroristen. Als mein Enkelsohn eine Spielzeugpistole haben wollte, hat mein Mann ihn überzeugt und keins gekauft. Wir sind Menschen, die nicht einmal Spielzeugwaffen ins Haus nehmen. Wir wurden wegen Terrorismus angeklagt. Gott sieht alles.
Kinder, die Wolken für das Meer halten
Fatma Demir hat im Gespräch mit BOLD auch über die Kinder in den Gefängnissen erzählt. Sie erzählte über das Trauma ihres Enkels Levent.
„Mein Enkelsohn Levent kann in der Nacht vor der Gerichtsverhandlung vor Aufregung nicht schlafen. Einmal sagte Levent dem Richt, ´Onkel lass uns frei, ich habe Eier in der Pfanne vermisst. Wir waren sehr lange hier lass uns nach Hause gehen.´ Er ist vier Jahre alt und die Wörter, die er am meisten benutzt sind, Gericht, Freispruch, Entlassung, Prozess, Wärter und seid nicht traurig, es dauert nicht mehr lange.“
Als er entlassen wurde zeigte er zu den Wolken und fragte, ob das das Meer sei. Wir haben ihm ans Meer gebracht und es ihm gezeigt. Als er ins Auto gestiegen ist, kletterte er aus Angst auf uns.
Der Text wurde für die deutsche Version redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.