BOLD – Über 500 Tausend Festnahmen hat es bislang nach dem Putschversuch 2016 gegen Mitglieder und Angehörige der Gülen-Bewegung. Besonders die Kinder von Betroffenen leiden unter dieser Situation. Der Fall der Familie Öner ist nur eines dieser Dramen. Das Ehepaar Meryem und Osman Öner wurden am 6. März 2017 festgenommen. Ihre drei Kinder mussten dann bei unterschiedlichen Verwandten untergebracht werden. Mutter Meryem und zwei der drei Kinder sind krank.
Das älteste Kind der Öners heißt Ibrahim Said. Er versucht über Twitter das Leid seiner Familie zu erzählen und fordert die sofortige Freilassung seiner Mutter. Seine Mutter sei bereits seit 8 Jahren in psychologischer Behandlung und sie nehme schwere Psychopharmaka. Ihr Gesundheitszustand habe sich in der Haft wesentlich verschlechtert, berichtet der Sohn. Ärzte haben der Mutter attestiert, dass sie nicht alleine bleiben kann. Doch trotzdem werde sie alleine gelassen. Sie ist in einer Gefängniszelle für 28 Insassen alleine untergbracht. In dem Gefängnis in Kilis, einer Provinz im Süden der Türkei und an der direkten Grenze zu Syrien werde sie nur deshalb in Einzelhaft gehalten, da dort sonst keine andere Gefangene wegen Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung festgehalten werden.
Schwester muss wegen Druck mit Schule aufhören
Ibrahim Said schildert ihre dramatische Situation mit diesen Worten: „Es hat schnell die Runde gemacht, dass unsere Eltern im Rahmen der Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung festgenommen wurden. Der Ort, an dem meine Geschwister leben, ist ein sehr kleiner Ort. Es begann ein enormer Druck. Deshalb hat meine Schwester die Schule verlassen. Sie macht jetzt ihren Abschluss auf einer Fernschule.“
Auch dieSchwester müsse Medikamente u.a. gegen Depressionen und Epilepsie nehmen. Sie besuche derzeit die 11. Klasse. Aufgrund ihrer eigenen Krankheit und dem schlechten Gesundheitszustand ihrer Kinder müsse seine Mutter dringend aus dem Gefängnis rausgelassen werden, beteuert der Sohn.
Kinder leben bei verschiedenen Verwandten
Seine zwei Geschwister leben seither in Hatay bei einer Tante. Er selbst lebe bei einer anderen Tante in Istanbul. Diese Trennung sei eine zusätzliche Schwierigkeit, so Ibrahim Said Öner. Seine Mutter habe ein ganzes Jahr ihre Verlegung in ein Gefängnis in der Nähe zu ihren Kindern beantragt. „Auch mein Vater hatte so einen Antrag gestellt, diese wurden aber immer abgelehnt“, erklärt der verzweifelte große Bruder. Sein Vater wurde inzwischen zu 15 Jahren Haft verurteilt. Er werde mit den typischen Anschuldigungen belastet, die gegen alle Mitglieder der Gülen-Bewegung Anwendung finden. Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, weil etwa das eigene Kind auf eine Schule der Gülen-Bewegung gegangen ist.
“Meine Eltern sind unschuldig”
„Sie sind vollkommen unschuldig. Diese Geschehnisse haben mich verändert und ich habe deswegen viel gelernt. Ich bin jetzt zum Jura-Studium zugelassen. Einer meiner Geschwister geht in die 11., die andere in die 3. Klasse. Wir haben überhaupt keine finanziellen Mittel zu Verfügung. Wir werden von unseren Tanten unterstützt. Ich verlange zumindest die Freilassung meiner Mutter. Sowohl wegen ihrer Krankheit, als auch wegen der Krankheit meiner Geschwister“, so Ibrahim Said.
Auf der Suche nach Gerechtigkeit
Der junge Mann sagt, bei den Gerichten hätten sie bislang kein Gehör gefunden. Ihr Vater sei enorm besorgt über die Lage seiner Frau, da diese trotz ihres schlechten Gesundheitszustands und gegen den Willen ihrer Ärzte in Einzelhaft gehalten wird. „Sowohl meine Mutter als auch mein Vater sind psychisch am Ende. Wir planen eine Klage vor dem Verfassungsgericht und vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzureichen,“ schildert der junge Öner.
Es befinden sich weiterhin rund 30.000 Personen wegen einer Mitgliedschaft in der Gülen Bewegung in türkischen Gefängnissen. Diese Prozedur wird mit dem türkischen Begriff „Tenkil“ beschrieben, was soviel bedeutet wie „Ausrottung, völlige Säuberung“. Seit dem Putschversuch vom 15. juli 2016 wurden über 500.000 Personen wegen tatsächlicher oder angeblicher Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung festgenommen. Die meisten von ihnen haben einen akademischen Abschluss. Unter ihnen sind besonders viele Lehrer.