Am 17. Dezember 2013 sind in der Türkei die umfangreichsten Korruptionsfälle des Landes öffentlich geworden. Staatsanwalt Celal Kara hatte damals den Startknopf gedrückt und Razzien eingeleitet. Doch die Razzien verliefen nicht so, wie sie in einer Demokratie normal wären. Die Regierung zog alle Polizisten und Staatsanwälte, die an den Korruptionsermittlungen beteiligt waren, später ab. Mit neuen Gesetzen wurden Ermittlungen gegen Regierungsmitglieder praktisch unmöglich gemacht. Die Polizisten, die an den Razzien vom 17. Dezember 2013 beteiligt waren, wurden später selbst festgenommen. Der Staatsanwalt, der die Ermittlungen geleitet hatte, konnte in letzter Sekunde das Land verlassen und lebt vermutlich jetzt irgendwo in Europa.
von Cevheri Güven
Unterwanderung von US-Embargo gegen Iran durch Bestechung
Im Zentrum der Ermittlungen war der iranischstämmige Geschäftsmann Reza Zarrab. Gelder, die der Iran durch Erdgas und Öl verdient hatte, wurden auf Konten in der Türkei belassen. Damit konnte Iran Lebensmittel, Medikamente und andere Grundbedürfnisse kaufen. Der Iran wollte dieses Geld allerdings als Bargeld zurück. Das hat dann Reza Zarrab auf die Tagesordnung gerufen, der vier Minister der AKP-Regierung bestochen hat, die mit gefälschten Dokumenten iranisches Geld außer Landes geschafft haben.
Es wurde hierfür eine kriminelle Organisation gegründet, die Staatsanwalt Celal Kara aufgedeckt hat. In dieser Organisation waren der damalige Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan, Innenminister Muammer Güler, EU-Minister Egemen Bağış, Infrastrukturminister Erdoğan Bayraktar und der Ex-Chef der staatlichen Halkbank, Süleyman Arslan. Die Staatsanwaltschaft fand heraus, dass die Schmiergeldzahlung über die Kinder der Minister liefen. Million Euro und Dollar an Bestechungsgeldern wurden in Schuhkartons, Schokoladenverpackungen und Kleidersäcken verteilt. Die Polizei hatte diesen Geldverkehr auf Video festgehalten. Als Innenminister Muammer Güler von den Ermittlungen erfahren hatte, wurden die Razzien früher eingeleitet. Am 17. Dezember 2013 wurden dann die Razzien an allen Adressen gleichzeitig durchgeführt. In den Häusern der Ministerkinder fanden die Polizisten Millionen in Schuhkartons. In dem Haus von Innenminister Muammer Gülers Sohn ,Barış, fanden die Ermittler 8 Tresore und Geldzählmaschinen. Die Tresore waren voll mit Geld. Der damalige Wirtschaftsminister Zafer Çağlayan hatte 23 Millionen Euro an Bestechungsgeldern entgegengenommen.
Regierung nennt Korruptionsermittlungen „Putsch“
Zunächst schwieg die Regierung zu den Korruptionsermittlungen. Der damalige Justizminister Sadullah Ergin hatte damals ein Treffen mit leitenden Mitarbeitern des Justizpalastes in Istanbul organisiert. Die Ermittlungsakten seien sehr umfangreich und mit Beweismitteln, teilte er Recep Tayyip Erdoğan mit, der damals noch Ministerpräsident war.
Die Familie von Erdoğan war nervös. Der als Kopf einer kriminelle Organisation beschuldigte Reza Zarrab hatte Millionen an Geldern an Stiftungen gespendet, die von den Erdoğans Kindern geleitet wurden. Die Spenden wurden in Taschen und illegal übergeben. Erdoğan begann einen Krieg gegen die Polizisten und Staatsanwälte, die an den Ermittlungen teilgenommen hatten. Bei einer Veranstaltung nannte er Reza Zarrab einen „wohltätigen Geschäftsmann.“ Die Ermittlungen nannte er dagegen einen „Putsch.“
Zunächst zog er den Polizeipräsidenten von Istanbul und dann alle anderen Polizisten, die an den Ermittlungen beteiligt waren. Sie wurden in andere Provinzen versetzt. Anschließend zog er auch Staatsanwalt Celal Kara vom Fall ab. Kurze Zeit später wurde Kara von seinem Amt als Staatsanwalt suspendiert. Um weitere Korruptionsermittlungen zu verhindern, hat die Regierung neue Gesetze erlassen. Polizisten mussten bei Ermittlungen die politischen Autoritäten informieren. Einstellen und Entlassen von Staatsanwälten wurde nunmehr die Aufgabe des Justizministeriums. Tausende Polizisten in wichtigen Positionen wurden suspendiert. Hunderte Richter und Staatsanwälte wurden versetzt.
Akte wurde geschlossen
Reza Zarrab und die übrigen inhaftierten 26 Geschäftsleute wurden etwa 2 Monate später am 28. Februar 2014 von den neu einberufenen Richtern entlassen. Die neuen Staatsanwälte gingen weiter und haben am 17. Dezember die Akte mit dem Verweis, es gäbe keine Korruption, geschlossen. Mit einer Mehrheit der Regierungspartei AKP wurde auch die Akte der vier Minister im Parlament geschlossen.
Polizisten seit fünf Jahren in Haft
Die Ermittlungen bei der Polizei hatte der Leiter für Finanzdelikte in Istanbul, Yakup Saygılı, geleitet. Saygılı und sein gesamtes Team sind seit fünf Jahren im Gefängnis. Die meisten von ihnen sitzen im Silivri-Gefängnis von Istanbul in Einzelhaft. Sogar die Ehefrauen einiger dieser Polizisten wurden festgenommen. Kurz bevor Haftbefehl gegen Staatsanwalt Celal Kara erlassen wurde, verließ er das Land. Offenbar lebt er jetzt in einem europäischen Land.
(Yakup Saygılı, ehem. Leiter für Finanzdelikte in Istanbul)
Reza Zarrab in USA fesgenommen
Reza Zarrab, der im Zentrum der Korruptionsermittlungen vom 17. Dezember 2013 stand, hatte sich im März 2016 gemeinsam mit seiner Ehefrau und Kinder aufgemacht um in Miami Urlaub zu machen. Dort wurde er von der Bundespolizei FBI festgenommen. Der Vorwürfe wogen schwer: Unter anderem die Unterwanderung der US-Sanktionen gegen den Iran und Verschwörung. Zarrab hat mit der Staatsanwaltschaft kooperiert und eingestanden. Der Geschäftsmann hat dem FBI Beweise vorgelegt, wie er Erdoğan und den vier Ministern der Regierungspartei AKP in welcher Höhe Bestechungsgelder gezahlt hat. Hatte Erdoğan Zarrab anfangs noch als „wohltätigen Geschäftsmann“ bezeichnet, nannte er ihn später einen „Agenten.“