Leutnant Adem Gürbüz war Panzerfahrer im türkischen Militär. Spektakulär wie sein Berufsfeld, war sein Abschied aus dem Diesseits. In einer Moschee in Istanbul hat sich der Soldat an der Kanzel erhängt. Der Fall hat landesweit Aufsehen erregt. Wollte Adem Gürbüz eine Botschaft vermitteln?
Halis Tunç ist ein ehemaliger Oberst und einstiger Marine-Attache der Türkei in Griechenland. Er gehört heute zu den Zehntausenden Soldaten und Staatsbeamten, die im Notstand, nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016, per Dekret entlassen wurden. Den Selbstmord des Leutnants und die äußeren Einflüsse hat Tunç in einem Text analytisch dargelegt.
BOLD — von Halis Tunç
Leutnant Adem Gürbüz feierte am 30. August 2015 seine Einstellung in den Militärdienst als Panzerfahrer. Doch sein beruflicher Traum sollte nur ein Jahr andauern. Denn weniger als ein Jahr später wurde er im Zuge der Massenverhaftungen nach dem sogenannten Putschversuch vom 15. Juli 2016, gemeinsam mit Zehntausenden festgenommen. 5 Monate blieb er zunächst in Haft. Doch mit dem Einmarsch des türkischen Militärs in Syrien wurde Adem Gürbüz mit einigen weiteren Soldaten auf Bewährung freigelassen und ins Kriegsgebiet entsandt. Obwohl der Staat gegen sie wegen Terrorverdachts ermittelte, wurde ihre Ausreisesperre aufgehoben. Sie dienten unter diesen prekären Umständen ihrem Land. Ein Teufelskreis an Widersprüchen. Der Staat gab vermeintlichen Terroristen Waffen, ließ sie Kampfjets fliegen und Panzer fahren.
Wenn Adem Gürbüz in Syrien gestorben wäre, würde er heute zu den Märtyrern im Syrien-Krieg zählen. Doch er hat den Einsatz überlebt. Nach einer langen Aufenthaltszeit in Syrien kehrte er in die Türkei zurück. Angekommen in der Türkei wurde der Terrorverdächtige endgültig aus dem Militär entlassen.
Grund dafür war eine Software namens “FETÖMETRE,” die laut türkischer Regierung ermitteln kann, ob jemand ein Gülenist ist oder nicht. Die Software zeigte bei Adem Gürbüz an, dass er ein Gülenist sei. Entlassenen Soldaten nennen diese obskure Software ein post-modernes Genozid-Apparat.
“Spuren von Folter und Misshandlungen an meinem Körper”
Nach der Entlassung kehrte Adem Gürbüz zunächst zurück zu seiner Familie in Erzurum. Doch als ein als Gülenist gebrandmarkter Mann veränderte sich alles. In der Heimat widerfuhr ihm unerträglicher sozialer Druck. In der anatolischen Provinz Erzurum suchte der Leutnant vergeblichst nach Arbeit. Auf den wachsenden Druck aus Familie und sozialem Umfeld habe Gürbüz unter anderem mit diesem Satz reagiert: “Wenn es nicht schamhaft wäre, würde ich mich ausziehen, damit ihr die Spuren von Folter und Misshandlungen an meinem Körper sieht”. Einer von vielen Zeichen für die immense Verzweiflung. In den fünf Monaten Haftzeit wurde Gürbüz, wie viele andere Soldaten auch, schwer gefoltert. Dies bestätigen zahlreiche Berichte über Folter und Misshandlungen in der Türkei, wie auch Bold bereits mehrfach berichtete.
Die Hoffnungslosigkeit in Anatolien nahm für Gürbüz keine positive Wendung. So ging Gürbüz verzweifelt nach Istanbul um als Tageslöhner auf Baustellen zu arbeiten. Am 22. Januar 2020 ging er im Istanbuler Stadtteil Dudullu zum Nachtgebet in eine Moschee. Dort hat er sich anschließend versteckt. Als die Letzten die Moschee verlassen haben, hat sich der ehemalige Soldat mit dem Kabel vom Staubsauger an der Kanzel der Moschee erhängt.
Seine letzte SMS an seinen Bruder vor seinem Tod zeigt, in welcher aussichtslosen Lage der einstige Volksheld war. “Kannst Du mir vielleicht 150 Lira senden? Wenn es nicht geht, ist auch ok.” Die schwierigen Umstände, die einen jungen Leutnant in den Selbstmord treiben sind offensichtlich.
Und obwohl die Kameras der Moschee den Tod des jungen Soldaten gefilmt haben, hat es in den türkischen Medien einen Bericht über das große Drama gegeben.