Im Mai 2013 sorgten anhaltende Demonstrationen von türkischen Bürgern für eine Art Ausnahmezustand in der Türkei. Was als Protest gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks in Istanbul begann, eskalierte in Polizeigewalt und einer Wende der Innenpolitik des damaligen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die Proteste sind bekannt als Gezi-Proteste und tragen bis heute Nachwirkungen. Erdoğan bezeichnet diese Proteste weiterhin als Umsturzversuch.
Erst vorgestern wurden Angeklagte der Gezi-Proteste freigesprochen. Überraschenderweise waren neben dem seit zwei Jahren inhaftierten Menschenrechtler Osman Kavala auch andere Angeklagte, die teilweise im Exil leben, von den Anschuldigungen bezüglich der Gezi-Proteste freigesprochen worden. Das war nicht nur eine große Überraschung, sondern sorgte auch dafür, dass Menschen in der Türkei wieder einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Rückkehr zum Rechtsstaat hatten. Die Überraschung und Hoffnung hielt nicht lange. Schon nach kurzer Zeit wurde Kavala wieder verhaftet. Diesmal wurde ihm vorgeworfen, sich an dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 beteiligt zu haben. Seine Inhaftierung setzt sich also fort.
Am Mittwoch hat Erdoğan auf dem Parteitag seiner AKP über den Fall Kavala, die Gezi-Proteste und auch die Gülen-Bewegung, die er für den Putschversuch 2016 verantwortlich macht, gesprochen.
In seiner Rede sagte der türkische Staatspräsident und Parteivorsitzende, dass Kavala zu der Soros-Bewegung gehöre: “Es gibt einige Typen, die für Aufstände in bestimmten Ländern sorgen sollen. Der türkische Arm davon war inhaftiert.” Diesen habe man versucht mit “einem Manöver” freizusprechen, sagte Erdoğan weiter. Für viele Experten der Türkeipolitik ist das ein klares Bekenntnis dafür, dass der Staatspräsident persönlich hinter der erneuten Verhaftung Kavalas steckt.
Denn auch kurze Zeit später wurden Ermittlungen gegen die Richter des 30. Strafgerichts von Istanbul aufgenommen, die hinter dem Freispruch steckten. Nach den Ermittlungen können die Richter suspendiert und sogar inhaftiert werden.
Fast 5.000 Richter und Staatsanwälte freigestellt
Das ist nicht neu in der Türkei. Seit dem Putschversuch 2016 wurden knapp 5.000 Richter und Staatsanwälte freigestellt. Etwa 3.000 wurden verhaftet.
Politisch relevante Prozesse werden von Erdoğan persönlich verfolgt. Mehrmals wurden Entscheidungen der Gerichte revidiert. So wurden beispielsweise 16 Journalisten, die in Gülen-nahen Medien gearbeitet hatten, erst einmal freigesprochen und wenige Stunden später mit neuen Anschuldigungen konfrontiert. Die Familienangehörigen warteten zu diesem Zeitpunkt vor der Gefängnisanstalt auf die Entlassungen. Aufgrund der neuen Vorwürfe mussten die Journalisten aber weiter in Haft bleiben.
Ein bekanntes Beispiel hatte das Land auch mit dem Schriftsteller Ahmet Altan erlebt. Altan, der das Gefängnis verlassen durfte, wurde nach nur wenigen Tagen wieder verhaftet. Wie sehr der Druck auf Juristen lastet, zeigt der Fall des Richters Bünyamin Karakaş. Karakaş wurde in der Pause einer Gerichtsverhandlung festgenommen.