Murat Sadıç ist Experte in Nuklearmedizin. Er gehört zu den Wissenschaftlern, die nach dem Putschversuch 2016 per Dekret entlassen und später verhaftet wurden. Heute lebt er als Flüchtling in Deutschland. Der Wissenschaftler forscht zum Thema Coronavirus. Er wird demnächst seine Arbeiten in den USA fortsetzen. BOLD führte ein Gespräch mit dem Wissenschaftler.
von Cevheri Güven
Während in den Krankenhäusern weltweit der Kampf gegen das Coronavirus anhält, versuchen Wissenschaftler ein Impfmittel gegen den gefährlichen Erreger zu finden. Zu ihnen gehört auch der Experte für Nuklearmedizin Murat Sadıç. Der Mediziner wurde nach dem Putschversuch zunächst per Dekret entlassen und später verhaftet. Später hat er es geschafft nach Deutschland zu flüchten.
Der Nuklearmediziner hat mit BOLD über zwei seiner Projekte zum Coronavirus gesprochen. „Es gibt noch keine spezifische Therapie zum Coronavirus. Wissenschaftler arbeiten gerade an einem Impfmittel und einem Medikament,“ erzählt der Wissenschaftler. Bei meiner Arbeit benutze ich die Nuklearmedizin.“
Die Methode an der Sadıç arbeite sei ähnlich wie der in der Krebstherapie. “Besonders in den vergangenen 4-5 Jahren ist das sehr populär geworden und hat in verschiedenen Krebsarten eine neue Ära eingeläutet. Wir nennen dieses Verfahren Theranostik – eine Zusammensetzung von Therapie und Diagnostik.“
In der anderen Arbeit des Wissenschaftlers gehe es um Antikörper. „Unsere Antikörper sind unsers natürliches Abwehrsystem. Es gibt Überlegungen, wonach Antikörper von Außen in den Körper injeziert wird. Das ist allerdings noch in einer Testphase,“ so Sadıç. In meiner Arbeit geht es um Antikörper, die wir gegen das Virus entwickelt haben mit einem radioaktiven Mittel zu verbinden und dieses direkt in die Region des Virus zu geben. Es ist ähnlich wie bei der effektiven Behandlung von Lymphknoten.“
Offenbar wird der Wissenschaftler nicht sehr lange in Deutschland bleiben. „Es ist sehr sanstrengend und es dauert sehr lange hier in Deutschland als Arzt sein Diplom anerkannt zu bekommen. In den USA gibt es ein Visaprogramm für solche, die in ihren Bereich außergewöhnliches geleistet haben. Ich habe dahin meinen Antrag geschickt und wurde als „außergewöhnlicher Wissenschaftler anerkannt.“
Die USA haben offenbar niedrigere Hürden bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen als andere Länder. „Wegen des Coronavirus hat die USA ihre Tore für Ärzte geöffnet. Ich habe die US-Borschaft über meine Arbeit in dem Bereich informiert. Sie haben sich sofort zurückgemeldet und wollten einen kurzen Lebenslauf. Und ich habe ihnen mein Projekt erklärt.“ Demnächst soll eine Einladung des zuständigen US-Konsulats zu einem Interview erfolgen.
Einladung von der Harvard Universität
„Ich hatte bereits zuvor eine Einladung der Brigham and Women’s Hospital von der Harvard Universität. Die Formalitäten halten noch an. Sobald diese beendet sind werde ich in die USA reisen und dort meine Arbeiten zum Coronavirus fortsetzen,“ erzählte der Wissenschaftler Murat Sadıç im Gespräch mit BOLD.
In der Türkei war der Wissenschaftler sehr erfolgreich. „In der Türkei habe ich an einigen Projekten gemeinsam mit der TÜBITAK (Türkische Anstalt für Wissenschaftliche und Technologische Forschung) gearbeitet. Zuletzt habe ich im Ausbildungs- und Forschungskrankenhaus in Ankara im Bereich Nuklearmedizin gearbeitet. Nach dem Putschversuch wurde zunäcsht meine Frau mit dem Dekret 672 entlassen. Danach wurde sie wegen ihres Bankkontos verhaftet. Unser Kind war damals anderthalb Jahre alt gewesen. Seine Mutter war weg und es konnte nicht mehr gestillt werden. Weil meine Frau per Dekret entlassen wurde, wurde auch ich entlassen. Danach wurde ich mit ähnlicher Begründung festgenommen. Ich hatte im Gefängnis eine sehr schwierige Zeit durchgemacht.
Vom Labor in die Grube
Der Wissenschaftler hat es nach dem Putschversuch schwer gehabt. Während er in seinem Labor forschte wurde er verhaftet. „Der Staatsanwaltschaft sagte zu mir ´ich möchte eigentlich keinen Wissenschaftler wie dich verhaften lassen, aber so sind die Anweisungen aus Ankara.´ Ich höre diese Worte immer noch. Ich wurde in einer überfüllten Zelle im Gefängnis von Ankara-Sincan drei Wochen festgehalten.“ Danach sei der Nuklearmediziner ins Gefängnis von Amasya gebracht worden. Das habe man getan, damit er von seiner Familie weiter entfernt ist. Dort sei er unmenschlicher Behandlung ausgesetzt worden. „Ich wurde in eine acht bis neun Quadratmeter große Zelle geworfen, wie wie eine Grube war. Diese Zelle bekam kein Sonnenlicht ab. Es gab Zeiten, wo ich weder mit meinem Anwalt noch mit meiner Frau sprechen durfte. Ständig wurde ich beleidigt und man hat versucht meinen Willen zu brechen.“
Täglich 15 Minuten Wasser
Der Sommer war sehr heiß. Es gab am Tag nur 15 Minuten Wasser, und das morgens zwischen 4:00 Uhr und 4:15 Uhr. Es war nicht erlaubt, Wasser aufzubewahren. Unser Essen und Einkäufe aus der Kantine wurden von der Gefängnisleitung limitiert. Über die Mäuse und Insekten will ich erst gar nicht anfangen,“ erzählt der Wissenschaftler BOLD.
„Wegen der Umstände dort hat sich ein Tumor an meinem Fuß gebildet. Ich bin Arzt ud kenne das. Ich habe zehn Anträge gestellt, aber ich wurde nicht ins Krankenhaus gebracht. Ich konnte nicht mehr laufen. Ich habe auch keine Schmerzmittel bekommen. Später durfte ich mit dem Gefängnisarzt reden. Der hat mich dann ins Krankenhaus geschickt, wo der Tumor entfernt wurde.
Erfolge wurden zu Straftaten erklärt
Gerechtigkeit habe Murat Sadıç in der Türkei keine erfahren. „Vor Gericht wurde mir nicht erlaubt mich zu verteidigen. Meine Verurteilung ging schnell. Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer über einen 29-jährigen gesprochen, der der jüngsten Privatdozent der Türkei sei, in den USA ausgebildet wurde und dort Prüfungen bestanden hat. Nach meiner Strafe wurde ich entlassen.
Nach meiner Entlassung bekam ich keine Arbeit. Weil ich per Dekret entlassen wurde, bekam ich nicht einmal Antworten auf meine Bewerbungen. Wir wurden wie Geister behandelt und wurden dem sozialen Tod ausgesetzt. Weil mein Reisepass beschlagnahmt wurde, durfte ich nicht ins Ausland. Ich musste dann mit meiner Frau und unserem kleinen Kind flüchten.
Von mir wurden rund 100 wissenschaftliche Artikel in internationalen Fachzeitschriften veröffentlicht. Ich wurde ausgezeichnet. Ich wollte meinem Land und der Menschheit förderlich sein. Aber in der Türkei war es mir weder erlaubt zu arbeiten noch zu leben. Die Welt besteht aber nicht nur aus der Türkei. Für mein Land ist es schade.
Viele der Wissenschaftler, die mich ausgebildet haben, wurden ebenfalls per Dekret entlassen. Viele wurden vor Gericht freigesprochen aber dennoch dürfen sie nicht in ihrem Bereich arbeiten. Sogar ein Freispruch ist keine Lösung in der Türkei. Wo es kein Recht gibt gibt es auch keine Gerechtigkeit.“
Die deutsche Übersetzung wurde redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.