Immer wieder werden Folterfälle bei der Antiterrorpolizei TEM in Ankara bekannt. Auch Frauen sind von der brutalen Vorgehensweise der türkischen Beamten nicht verschont. BOLD hat mit Esra Yurt gesprochen, einer der Opfer, die mit Säure gefoltert wurde.
Von Sevinç Özarslan
(Aus dem Türkischen von Sven Weber)
Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 ist die Präsidium der Antiterrorpolizei TEM zu einem Folterzentrum geworden. Auch Studentinnen wurden dort schon gefoltert. Esra Yurt wurde im Februar 2017 in Untersuchungshaft genommen und in den folgenden fünf Tagen von den Beamten der TEM gefoltert.
Die Beamtin, die das tat, sei eine lange Frau mit blonder Haaren gewesen, erzählt Esra Yurt. Zunächst habe sie Säure auf ein Stück Stoff getropft und den Frauen in Untersuchungshaft gezeigt, wie der praktisch kochte. Esra Yurt hatte es abgelehnt Namen zu nennen und bekam die Säure unter ihren linken Fuß. Zudem wurde Sie mit einem großem Schlüsselbund ins Gesicht geschlagen. Ein männlicher Beamter hatte ihr beim Verhör immer wieder mit Vergewaltigung gedroht. Der Richter, der ihr blau angelaufenes Gesicht sah, hatte sich nur mit einem Stöhnen abgefunden. Die Ärztin, die ihre späteren Wunden versorgt hatte, gab ihr eine Tube “Voltaren.” Sie weigerte sich auch, die Folter zu bescheinigen.
Nach fünf Tagen entschied das Gericht sie unter Auflagen freizulassen. Ein Jahr lange hatte sie Schmerzen und Narben an ihrem linken Fuß. Sie konnte deswegen kaum schlafen, erzählt uns das Folteropfer. Die vierfache Mutter war gezwungen, aus ihrem Heimat zu fliehen und lebt jetzt mit ihrer Familie in einem europäischen Land.
Polizisten waren 4 Männer und eine Frau
“Es war sieben Monate nach dem Putschversuch. Fünf Polizisten bei mir zu Hause aufgetaucht. Unter ihnen war auch eine Frau. Sie haben das Haus durchsucht und alles auf den Kopf gestellt. Sie wollten wissen, welche Verbindungen ich nach Izmir habe. Ich sagte nur, dass ich ursprünglich von dort komme. Außer mir war niemand da. Die Kinder waren noch in der Schule. Sie haben mich mit aufs Präsidium der Antiterrorpolizei TEM mitgenommen. Als wir aus der Tür rausgingen, wollte sie mir Handschellen anlegen. Ich hatte mich geweigert. Die Polizisten war ohne jeglich Gnade. Ihre männlichen Kollegen waren anders.
Die Zelle, in der wir untergebracht waren, war widerlich und stank sehr stark. Es war ein Dienstag, als ich zur TEM gebracht wurde und dort 4 bis 5 Tage drin war. In dieser Zeit wurde ich gefoltert, praktisch von dem Moment an, als ich festgenommen wurde.
“Untersuchungshaft mit nichts zu vergleichen”
Psychisch geht es einem in Untersuchungshaft sehr schelcht. In jedem Moment fragt man sich, was sie mit einem vorhaben. Täglich wurden wir zwischen 10 und 11 Uhr einem Gesundheitscheck unterzogen. Ich hörte Weinen, Schreie, Stottern…Ich habe versucht dabei ruhig zu bleiben.
Später musst ich vor dem Staatsanwalt meine Aussage machen. ´Mach es mir nicht so schwer, damit ich es auch für dich einfach mache,´sagte er. Er zeigte mir eine Liste mit Namen, die ich unterschreiben sollte. Doch zunächst gab er mir ein leeres Blatt und wollte, dass ich Namen aufschreibe. Ich sagte, ich kenne keine Namen. ´Du bist aufgeregt, deswegen,´sagte er. Danach wollte er, dass ich die Liste mit den Namen unterschreibe. ´Wenn du unterschreibst, wird es einfacher für dich,´sagte er. Ich erwiderte, dass ich diese Personen nicht kenne.
“Wir werden euch eine Erinnerung zurücklassen”
Nach der Vernehmung brachte man mich in ein anderes Zimmer. Dort waren zehn weitere Frauen. Es war eng. Dann kam eine Polizistin, die groß war und blonde Haare hatte. Sie hielt in der Hand einen Bund mit ganz vielen Schlüsseln dran und hatte auch eine Feder und eine kleine Flasche. ´Meine Damen, seid ihr glücklich mit unserer Gastfreundlichkeit,´fragte sie. Natürlich traute sich niemand zu antworten, alle hatten Angst. ´Keine Sorge, wir werden euch hier nicht allzulange behalten. Wir werden euch aber eine Erinnerung an unsere Gastfreundschaft hinterlassen,´ sagte die Beamtin der Antiterrorpolizei.”
“Ich dachte, sie wollten unsere Finger mit Tinte markieren”
Esra Yurt wusste nicht, was die Polizisten vorhatten. “Ich dacht sie werden unser Finger in Tinte auftauchen, so wie man es auch nach der Stimmabgabe bei den Wahlen macht. Es gab sehr viele Menschen im Präsidium des TEM in Ankara. Ich dachte mit der Tinte werden diejenigen markiert, die bereits eine Aussage beim Staatsanwalt abgegeben haben. Danach hat die Polizisten auf ihren Tisch ein Stück Stoff gelegt. Danach zeigte sie eine kleine braune Flasche mit einer Flüssigkeit drin. Sie hatte die Spitze in die Flasche getaucht und dann eine Flüssigkeit auf dieses Stoff getröpfelt. Der Stoff zog sich sofort zusammen.
Alle Frauen in dem Zimmer bekamen panische Angst. Eine Frau gab Geräuche von sich, als ob sie gerade stirbt, sie konnte nicht mehr atmen. ´Wer diese Erinnerung nicht haben möchte, dort liegt ein Stück Papier. Wenn es solche Leute wie euch gibt, schreibt ihre Namen drauf. Wer will kann die Namen auch draußen aufschreiben. Natürlich sind viele der Frauen rausgegangen. Wir waren dann nur noch zu fünft.
“Verbrennungen unter meinem Fuß und in die Zelle zurückgehumpelt”
Die Polizisten befahl uns, entweder unsere Hand oder unseren Fuß auszustrecken. Ich wollte meine Hand nicht geben, weil ich Probleme an meine Händen hatte. Deswegen zog ich meine Socken aus. Sie tat meinen Fuß auf den Tisch und tröpfelte diese Säure darauf. Es war sehr schmerzhaft. Manche bekamen das auf ihre Hände und andere auf ihre Füße. Mir Augen füllten sich sofort mit Tränen. Es waren unbeschreibliche Schmerzen. Danach ist es unmöglich Schuhe anzuziehen. Ich humpelte danach wieder zurück in meine Zelle.
Sie haben dort versucht uns maximale Schmerzen zuzufügen. Sie leben von der Angst ihrer Opfer. Alles was sie taten war grob. Sie schlagen dich auf den Rücken oder gegen den Kopf, weil du etwa zu langsam gehst. Einmal gaben sie uns einen Toast, dessen Käse schon verschimmelt war. ´Das ist zu gut für euch,´sagte sie. Und wenn einer von dort uns vernünftiges Essen gegeben hat, wurde dieser gerügt. ´Du gibts dieses Essen Kötern. Das sind keine Menschen.´Bei jeder Gelegenheit versuchen sie den Gefangenen etwas anzutun und sie zu brechen.”
“Blut in meinem Gesicht”
Frauen, die unter ihre Füße Säure bekamen, mussten am nächsten Tag zur Gesundheitskontrolle. Auf dem Weg ins Krankenhaus wurde Esra Yurt erneut geschlagen. Sie kann nicht vergessen, wie egal ihr Zustand ihm war und dass er sich sogar lustig darüber gemacht hat.
“Am nächsten Morgen brachten sie uns zur Gesundheitskontrolle. Wir waren erschöpft, hungrig und hatte keine Kraft. Alle hatte ein langes Gesicht. Ich drehte mich im Wagen um und sagte zu den anderen ´erhebt euren Kopf, wir haben nichts getan, wofür wir uns schämen müssen.´ Ein Polizist mit einem Schlüsselbund in der Hand schlug mir diesen ins Gesicht. Es war so, als ob die Schlüssel in meinem Gesicht explodieren. Es hat sehr weg getan…Ich bekam dadurch Kratzer. Mein Gesicht schwoll blau an. Eine Ärztin sah sich meine Füße und mein Gesicht an. Ich sagte ihr, ´schauen Sie sich mein Gesicht an. Das ist gerade eben passiert. Wollen Sie wirklich in meinem Zustand in meinen Bericht nichts reinschreiben. Ich habe vieles vergessen aber nicht die Worte der Ärztin. ´Ich kann dir Voltaren verschreiben,´sagte sie.”
“Richter fragte, was mit meinem Gesicht passiert sei”
Esra Yurt wurde mit ihrem blau angelaufenen Gesicht vor einen Richter gestellt und nach fünf Tagen freigelassen. “Was ist mit deinem Gesicht geschehen, fragte der Richter. “Ich zeigte auf den Polizisten rechts von mir. Er konnte nur noch seufzen. Er ließ mich dann unter Auflagen frei,” erzählt uns die Radiojournalistin, die für den staatlichen Rundfunk TRT in Izmir arbeitete.
Esra Yurt:
"Sağlık kontrolüne giderken iri kıyım kadın polis, bir tomar anahtarın olduğu anahtarlığı hınçla yüzüme vurdu. Ömrümde öyle bir şiddet görmemiştim. Çok canım yandı. Hemen kızardı yüzüm. Doktora hem yüzümü hem ayağımı gösterdim."https://t.co/LCxpJJWNJZ pic.twitter.com/dO2q8w9S0t
— BOLD (@BOLDmedya) May 22, 2020
Die Folter hinterließ tiefe Spuren:
“Ich hatte ständig Schmerzen an den Stellen, an denen Säure kam. Ich konnte anderthalb deswegen kaum schlafen. Die Polizisten wollte uns damit ein Andenken hinterlassen. Wahrscheinlich meinte sie das. Ich muss Schlafmedikamente nehmen, sonst kann ich überhaupt nicht schlafen.
Derzeit leben wir in einem Flüchtlingsheim in einem europäischen Land. Ich habe meine Füße dem Arzt in der Flüchtlingsunterkunft gezeigt. Er bestätigte, dass meine Füße nur als Folge “äußerer Umstände” in diesen Zustand gekommen sein könnten. Es wurde verschieden Untersuchung gemacht. Eine ärztliche Bescheinigung zu meiner Folter, die mir in der Türkei verweigert wurde, wurde mir hier ausgestellt.”
“Cengiz, schau nur, sie ist wie eine Traube ohne Stiel.”
Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 tauchten immer wieder Gerüchte auf, dass Frauen in Untersuchungshaft gefoltert und vergewaltigt wurden. Journalisten hatte erzählt, wie sie von betrunkenen Polizisten sexuelle belästigt wurden. Eine Hausfrau oder eine Frau mit einem anderen Beruf hat noch nichts darüber erzählt. Die Geschichte von Esra Yurt bestätigen diese Gerüchte.
“Einer der Polizisten fragte, ob ich verheiratet sei, wo mein Mann sei, nach meinen Kindern, nach meiner Familie. Mein war hielt sich außerhalb der Stadt auf. Meine Kinder waren nicht bei mir und meine Mutter war verstorben. Er drehte sich danach zu seinem Kollegen um und sagte, ´Cengiz, schau nur, sie ist wie eine Traube ohne Stiel.´Ich hatte danach so eine Angst bekommen, dass ich zitterte. Wer weiß, was mit anderen Frauen in Untersuchungshaft geschieht.”
Unser Boot bekam ein Loch und wir vielen ins Wasser
Um weiterer Verfolgung zu entgehen, entschließt sich die Familie Yurt im Oktober 2017 das Land zu verlassen. Danach flieht die Familie mit ihren drei Kindern über den Fluss Mariza nach Griechenland zu fliehen. Die älteste Tochter ging zuvor in die USA.
“Unser Schlauchboot bekam ein Loch und wir fielen ins Wasser. Ich nahm meine Tochter in den Arm. In Griechenland wurde wir dann in Untersuchungshaft genommen und verbrachten dort acht Tage. Zum Glück kam dann Vertreter der UN und des Roten Kreuzes dahin. Mein Mann spricht sehr gut Englisch. Er sprach zu erst mit den Vertretern des Roten Kreuzes und einige Tage später mit Mitarbeiter der UN. Wir kamen dann frei. Insgesamt waren wir 19 Tage in Griechenland und sind von dort in eine anderes europäisches Land gegangen.
Zwischen 1999 und 2001 lebte das Ehepaar Yurt in den USA. Dort kam auch ihre älteste Tochter auf die Welt und ist deswegen US-Bürgerin. Am 2. September 2016 setzt ihre Tochter ihre Schulbildung fort. Inzwischen hat sie es auf eine Elite-Universität geschafft und studiert an der MIT (Massachusetts Institute of Technology).
Der Text wurde für die deutsche Übersetzung redaktionell bearbeitet. Das Original finden Sie hier.